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Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund

Titel: Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Monsieur…?«
    »Claymore. Phil Claymore aus New York.« David musterte das asiatisch wirkende Gesicht des Novizen. Der junge Mann log. Das spürte er.
    »Darf ich einmal in Ihren Koffer sehen, mein Sohn?«, fragte der Prior auf eine Weise, die jeden Widerspruch von vornherein ausschloss.
    Der Russe wandte sich von David ab und nickte schwach.
    Der Koffer des Novizen war ungefähr genauso überschaubar wie seine Zelle. Von einem mittelalterlichen Kodex fehlte darin jede Spur und…
    »Einen doppelten Boden gibt es auch nicht«, brummte Prior Konstantin, nachdem er den Pappkoffer abgeklopft hatte.
    Jetzt setzte eine aufwändige Entschuldigungs- und Verabschiedungszeremonie ein. Dieser Novize war falsch, das fühlte David. Vielleicht hatte Allilujew seine Beute irgendwo draußen versteckt. Lange genug Zeit hätte er ja dafür gehabt.
    »…durften einfach keine Möglichkeit von vornherein ausschließen«, leierte Konstantin, auch diesmal eher geschäftsmäßig, und schob beim Hinausgehen seine beiden Hilfsinspekteure vor sich her. »Also dann, mein Sohn, oniraglika.«
    Die Tür schloss sich vor dem Novizen und David sah den Bibliothekar fragend an.
    »Der heilige Vater hat ihm ›süße Träume‹ gewünscht.«
    »Ich brauche keinen Griechischkurs«, erwiderte David verärgert. »Haben Sie nicht bemerkt, dass dieser fromme Pilger lügt?«
    »Jakobus, der Bruder unseres Herrn, sagt: ›Denn wir fehlen alle mannigfaltig. Wer aber auch in keinem Wort fehlt, der ist ein vollkommener Mann und kann auch den ganzen Leib im Zaum halten.‹«
    »Ach, und damit entschuldigen Sie eine Lüge und vielleicht auch noch einen Diebstahl?«
    »Wer da im Worte fehlt, das mögen Sie sein, Mr Claymore. Verleumdung ist eine schwere Sünde, heißt es doch im neunten Gebot: ›Du sollst kein falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten. ‹ «
    »Und im achten verlangt Gott: ›Du sollst nicht stehlen. ‹ Sie können die Angelegenheit doch nicht einfach auf sich beruhen lassen.«
    Der Bibliothekar nickte grimmig und der Prior plusterte sich auf. Mit einem Mal redete er wieder griechisch. Andreas übersetzte.
    »Mr Claymore, wie ich meine Abtei führe, geht nur mich etwas an. Natürlich werde ich die Sache nicht übergehen. Der Novize Allilujew wird erst übermorgen früh mit der Fähre abreisen. Bis dahin werde ich die Angelegenheit auf meine Weise klären.«
    »Bitte tun Sie das«, erwiderte David, und um nicht etwas zu sagen, was er später bereuen könnte, fügte er nur knapp hinzu: »Ich ziehe mich jetzt in meine Gemächer zurück. Gute Nacht die Herren.«
    »Kali nichta«, erwiderte der Prior.
    »Gute Nacht«, fügte Andreas hinzu.
     
     
    Irgendwo schlug eine helle Glocke Mitternacht. Ansonsten war es völlig still. David zog sich sein Jackett über und schlüpfte aus der dunklen Zelle. Er hatte beschlossen dem jungen Pilger selbst auf den Zahn zu fühlen. Auf Zehenspitzen schlich er den Flur entlang, was sich als gar nicht so leicht erwies, weil die großen Steinquader am Boden alles andere als eben waren.
    Durch die Fenster des Ganges fiel mattes Sternenlicht, gerade genug, um zu erkennen, dass die Tür von Allilujews Kammer offen stand.
    »Der Vogel ist ausgeflogen«, flüsterte er, nicht gerade überrascht. Eher schon war David wütend auf sich, weil er so lange gezögert hatte. Drei, vier schnelle Atemzüge lang dachte er nach. Dann lief er los.
    Allilujews Verhalten ließ für ihn nur zwei Schlüsse zu: Der Novize hatte das Zimelium gestohlen und brachte es jetzt entweder in ein sicheres Versteck oder machte sich selbst mit ihm aus dem Staub. Beide Möglichkeiten erforderten entschiedenes Handeln.
    Im Dunkeln hastete David durch den Klosterbau, hinaus ins Freie, und blieb unschlüssig stehen. Er blickte zu der Bibliothek hinüber. Aus den Fenstern drang nicht der geringste Lichtschimmer. An den Ort des Verbrechens war der Dieb wohl nicht zurückgekehrt. Aber was dann?
    »Er will sich davonmachen!«, kombinierte David und begann wieder zu laufen.
    Wie bereits angemerkt, befand sich das Kloster Iviron auf erhöhter Warte. Weit unterhalb von David spiegelte sich das Sternenlicht im Ägäischen Meer. Und plötzlich entdeckte er eine Bewegung. Es war zu dunkel, um sicher sein zu können, aber er zweifelte eigentlich nicht daran, wer da vor ihm zum Strand hinablief. David erhöhte sein Tempo.
    Sich geschickt der Sekundenprophetie bedienend, kam er wesentlich schneller voran als die Gestalt vor ihm, die nicht einmal eine Taschenlampe

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