Der Kreis der Sechs
sie sehr zurückhaltend damit sind, ihre Mitschüler den Haien zum Fraß vorzuwerfen. In sensiblen Fällen benutzen wir manchmal eine Person von außerhalb der Verwaltung.«
»Aber warum sollten die Mädchen mit mir reden? Das ist …«
»Oh, bitte, Fee. Du bist nicht nur ein Bluthund, wenn es darum geht, Informationen auszugraben, du bist außerdem brillant darin, die Leute zum Reden zu bringen – ob es nun um ihre Doppelleben oder ihre illegitimen Babys oder Affären geht, die sie mit ihren Halbbrüdern hatten.«
»Trotzdem, ich kann nicht einfach anfangen, wahllos Leute auszuquetschen, oder?«, sagte Phoebe und fuhr mit ihrer Hand durch ihr Haar. Doch sie wusste, dass sie nicht Nein sagen konnte. Abgesehen von der Tatsache, dass sie noch nie in der Lage gewesen war, Glenda etwas abzuschlagen – sie schuldete ihr einiges –, fühlte Phoebe sich nun verpflichtet, dem Mädchen zu helfen, für das sie so wenig Zeit gehabt hatte.
»Ich weiß, wie wir das handhaben können«, sagte Glenda. »Du kannst sagen, dass ich dich gebeten habe, bei der internen Untersuchung von Lilys Verschwinden zu helfen. Das gibt dir die perfekte Gelegenheit, Fragen zu stellen und zu sehen, wo dich das hinführt.«
»Werde ich irgendjemandem auf die Füße treten – etwa Tom Stockton?«
»Ich denke nicht. Tom nimmt es nicht persönlich, dass wir mit unserer eigenen Untersuchung über die Sechsen in eine Sackgasse geraten sind. Kids mögen es einfach nicht, mit Autoritätspersonen zu reden, und in diesem Fall ist es die Verwaltung. Aber du solltest mit Tom vereinbaren, dass er dich informiert. Er erwartet deinen Anruf.«
Für einen kurzen Augenblick fühlte sich Phoebe, als würde sie in Wasser oder Sand versinken, aber sie zwang sich, sich in den Griff zu bekommen.
»In Ordnung«, sagte Phoebe. »Ich bin dabei. Ich werde Informationen über die Mitbewohnerin sowie ihren Namen brauchen, und auch Kontaktinformationen zu dieser Blair Usher.«
Heute hatten sie keine Zeit, um sich über persönliche Dinge auf den neuesten Stand zu bringen. Glenda sagte, sie müsste sich sowohl mit der Campuspolizei, als auch mit der örtlichen Polizei in Verbindung setzen, bevor sie sich mit Lilys Eltern traf. Sie waren gestern am späten Abend mit dem Auto angekommen, und sie würde sie in einer Stunde treffen.
Als Glenda Phoebe in die Eingangshalle brachte, fanden sie dort Glendas Ehemann Mark vor, der ihrem neunjährigen Sohn Brandon einen Fahrradhelm aufsetzte. Mark war eine eindrucksvolle Erscheinung, halb weiß, halb afroamerikanisch, mit olivgrünen Augen und einer so hellen Haut, dass die Leute oft annahmen, er sei weiß. Glenda war ihm in ihrem letzten Jahr im Internat begegnet und war immer mal wieder mit ihm ausgegangen, bis sie vor zehn Jahren beschlossen hatten zu heiraten.
»Hey, Jungs«, sagte Phoebe. Brandon legte zur Begrüßung seine Arme um Phoebe. Mark entbot nur ein Nicken und ein Lächeln. Sie und Mark hatten sich nie nahegestanden, aber von dem Augenblick an, als sie auf dem Campus angekommen war, hatte Phoebe eine neue Kühle von seiner Seite gespürt. Sie war sich nicht sicher, warum. Die offensichtliche Erklärung: Er dachte, dass Glendas berufliche Rettung Phoebes sich potenziell schädigend auf die Stellung seiner Frau auswirken könnte.
»Wo ist dein Helm?«, fragte Glenda Mark.
»Ich fahre heute nicht mit ihm. Er ist diese Straßen auch vorher schon alleine gefahren. Es ist gut für ihn, wenn er auf sich allein gestellt da rausgeht.«
»Aber es ist Samstagmorgen. Einer von uns sollte …«
»In einer perfekten Welt würde einer von uns mitfahren, aber wir haben beide Arbeit zu erledigen heute Morgen, nicht wahr?« Er sagte das in einem sarkastischen Tonfall, den Phoebe ihn noch nie gegenüber Glenda hatte anschlagen hören.
»Ich gehe jetzt besser«, sagte Phoebe, die sich unbehaglich fühlte. »Ich werde heute noch anfangen, Glenda – und ich werde dich heute Abend wissen lassen, falls ich etwas finde.«
Brandon zerrte an dem Gurt seines Helms, als würde der ihn würgen. Phoebe umarmte ihn noch einmal und verabschiedete sich von Mark. Glenda ging mit Phoebe zu der übergroßen Vordertür und stieß sie auf.
»Es bedeutet mir viel, dass du das tust«, sagte Glenda ruhig. »Aber wenn du es aus irgendeinem Grund lieber nicht tun willst, dann sag es einfach, okay?« Sie warf Phoebe einen langen Blick zu.
»Nein, es geht mir gut«, sagte Phoebe schnell und zog ihren Anorak zu.
Als sie ein paar Augenblicke später
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