Der Kreuzritter - Das Erbe - Guillou, J: Kreuzritter - Das Erbe - Arvet efter Arn
Stattdessen hatte er sich damit begnügen müssen Marschall des Reiches zu werden, da Ulf Fasi, der von dem unverbesserlichen Karl dem Tauben erzogen worden war, von Kriegsführung nichts verstand. Birger hatte sich mit einem kleinen Krieg nach dem anderen abgeben müssen, um die Streitigkeiten, für die Kleriker und bösartige Lehnsherren gesorgt hatten, beilegen zu können. An der unmittelbaren Macht hatte er jedoch keinen Anteil, da Jarl Ulf sein Todfeind war. Somit war nichts aus den Plänen seines Bruders Eskil Lagmann und seiner selbst geworden, ein neues Reich auf der Grundlage von Gesetzen zu errichten. Der Jarl hatte sich allem widersetzt, was Birger und Eskil hatten verändern wollen. Das Einzige, wobei sie König Erik selbst unterstützt hatte, war ein Verbot des Gottesurteils
gewesen, was immerhin einen kleinen Fortschritt darstellte.
Von der Tür hörte er Lachen und Getuschel und entdeckte zwei Kinder im Nachthemd, die ihn neugierig betrachteten. Er versuchte, sie zu sich zu rufen, doch beide schüttelten nur schüchtern die Köpfe. Sie schienen sechs und sieben Jahre alt zu sein, da eines eine Zahnlücke hatte und das andere schon neue Schneidezähne. Es handelte sich um ein Mädchen und einen Knaben.
Birgers Gemüt hellte sich sofort auf. Er suchte nach zwei Silbermünzen und hielt sie, den Kindern zublinzelnd, in die Luft. Da kamen die Kinder angelaufen, und er setzte sie lachend jedes auf ein Knie und reichte ihnen die Münzen.
»Was seid ihr für kleine nächtliche Geister, die zu dieser späten Stunde nicht schlafen?«, fragte er freundlich in der Sprache des Volkes, aber sie blickten ihn nur ratlos an. Da fragte er dasselbe in der Lübecker Mundart, und sofort hagelte es eine Menge eifriger Gegenfragen. Sie wollten wissen, ob er ein Krieger des Königs sei, ob er gekommen sei, um Lübeck zu befreien, und ob sie sein großes Schwert anschauen durften. Birger war sofort dazu bereit, zog es vorsichtig aus der Scheide und legte es zwischen die Bierkannen auf den Tisch. Er ermahnte sie, sich nicht an der Klinge zu schneiden. Da sah er, dass noch etwas frisches Blut an der Klinge haftete, und wischte es mit einer Hand ab. Er nahm eine Kinderhand und führte den Daumennagel vorsichtig über die Schneide, worauf er absplitterte. Sofort wollte das kleine Mädchen dasselbe tun wie ihr Bruder.
Elof trat mit trockenen Kleidern ein, und es erzürnte und erstaunte ihn, als er die Kinder auf Birgers Knien sitzen und jedes wie auf einem Pferd reiten sah. Das glückliche
Lächeln im harten, vernarbten Gesicht seines Bruders stimmte ihn aber unverzüglich milder. Er brauchte auch nicht mit Strenge einzugreifen, denn als ihn die Kinder entdeckten, sprangen sie rasch von Birgers Knien und wieselten kichernd davon. Ihre nackten Füße waren auf dem Kalksteinfußboden zu hören.
»Ich glaube, mir sind eben die ersten in Visby geborenen Folkunger begegnet«, meinte Birger nachdenklich. »Wie heißen die Kleinen?«
»Gerhard und Hilda«, antwortete Elof, und sein sonst so düsteres Antlitz hellte sich auf. »Sie sind mir, seit sie auf der Welt sind, eine große Freude. Kinder bereiteten aber, bis sie einmal auf der Welt sind, auch recht viel Sorge.«
Was Elof damit meinte, war nicht recht zu verstehen, abgesehen davon, dass jetzt von den kleinen Dingen die Rede sein sollte, bis man auf die großen zu sprechen kam. Während Elof Bier aus den Kannen in die Gläser goss, erwog Birger, den Faden Elofs nicht weiterzuspinnen und stattdessen sofort auf die wichtige Angelegenheit zu sprechen zu kommen, die ihn nach Visby geführt hatte. Er beschloss jedoch, damit noch eine halbe Stunde zu warten, da die bittere Feststellung Elofs, sie hätten sich seit zehn Jahren nicht mehr gesehen, der Wahrheit entsprach.
»Wie können unschuldige Wesen noch vor ihrer Geburt Kummer bereiten?«, fragte Birger, als er sein Bierglas entgegennahm.
»Der Grund dafür ist ihre Mutter«, murmelte Elof und prostete Birger zu. Sie tranken schweigend. Birger fragte nicht weiter, sondern wartete darauf, dass Elof fortfuhr.
»Gerhards und Hildas Mutter ist meine rechtmäßige Frau, Hannelore Kopf, die Tochter eines der reichsten Kaufleute Visbys«, erzählte Elof. »Ihr Vater ist zornig und
fühlt sich betrogen, weil er nicht nur geglaubt hat, dass er seine Tochter mit den mächtigen Folkungern vom Festland verheiratet hat, sondern auch mit einem großen Vermögen. Dieser Eindruck konnte entstehen, solange Herr Eskil und seine Frau Bengta
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