Der Krieg am Ende der Welt
für den Halsabschneider.«
Das Zimmer, kühl, gekalkt, alt, mit Rissen in den Wänden, sah verwahrlost aus; in einem kupfernen Krug stand ein verwelkter Blumenstrauß, der Fußboden war stellenweise eingebrochen. Durch die Fenster sah man auf die in der Sonne glühenden Zuckerrohrfelder. Nahe am Haus striegelten zwei Diener ein paar Pferde.
»Die Zeiten sind ziemlich verworren, mein lieber José Bernardo«, lächelte Baron de Canabrava. »Nicht einmal kluge Köpfe finden sich noch zurecht in dem Urwald, in dem wir leben.« »Ein kluger Kopf bin ich nie gewesen, das ist keine Fazendeiro-Tugend«, polterte »Oberst« Murau. Er deutete vage nach draußen. »Ein halbes Jahrhundert lang habe ich hier gelebt, und jetzt im Alter muß ich mit ansehen, wie alles herunterkommt. Mir bleibt nur noch der Trost, bald zu sterben, damit ich nicht den vollständigen Ruin des Guts mit ansehen muß.«
Er war in der Tat ein sehr alter Mann, knochig, mit schlaffer Haut und knotigen Händen, mit denen er sich häufig über das schlecht rasierte Gesicht fuhr. Er trug, wie ein Landarbeiter, eine verwaschene Hose, ein offenes Hemd und darüber eine Jacke aus Rohleder, an der die Knöpfe fehlten.»Der Sturm wird bald vorüber sein«, sagte Adalberto de Gumucio.
»Für mich nicht.« Der Fazendeiro ließ seine Fingergelenke knacken. »Wissen Sie, wie viele Leute in den letzten Jahren hier weggegangen sind? Hunderte von Familien. Die Dürre von 77, die trügerischen Hoffnungen auf die Kaffeeplantagen im Süden, auf den Kautschuk im Amazonasgebiet, und jetzt das verfluchte Canudos. Wissen Sie, wie viele Leute nach Canudos gehen? Sie verlassen ihre Häuser, ihre Tiere, ihre Arbeit, alles. Um dort auf die Apokalypse und die Ankunft des Königs Dom Sebastião zu warten.« Fassungslos über so viel menschliche Dummheit sah er sie an. »Auch wenn ich kein kluger Kopf bin, ich werde euch sagen, was hier geschehen wird. Moreira César wird Epaminondas Gonçalves zum Gouverneur von Bahia machen, und seine Leute werden uns zusetzen, bis wir die Fazendas verschenken oder verschleudern und selber gehen müssen.«
Vor dem Baron und Gumucio standen auf einem kleinen Tisch Erfrischungen und ein Körbchen mit Gebäck, das niemand angerührt hatte. Der Baron öffnete eine Dose Schnupftabak, bot sie seinen Freunden an und schnupfte genießerisch. Einen Augenblick saß er mit geschlossenen Augen da.
»Wir werden Brasilien nicht den Jakobinern schenken, José Bernardo«, sagte er, als er sie wieder aufschlug. »Sie mögen dieses Manöver noch so schlau vorbereitet haben, es wird ihnen nicht gelingen.«
»Brasilien gehört ihnen schon«, unterbrach ihn Murau. »Daß Moreira César auf Geheiß der Regierung hierher kommt, ist der beste Beweis.«
»Er ist nur auf Druck des Militärclubs von Rio ernannt worden, einer kleinen Jakobiner-Enklave, die sich eine Krankheit von Präsident Moraes zunutze gemacht hat«, sagte der Baron. »In Wirklichkeit ist das eine Verschwörung gegen Moraes. Der Plan ist klar. Canudos ist der Vorwand, damit sich ihr Mann mit noch mehr Ruhm und Ansehen aufblähen kann. Moreira César unterdrückt eine monarchistische Verschwörung! Moreira César rettet die Republik! Ist das nicht der beste Beweis dafür, daß einzig und allein das Heer die nationale Sicherheit gewährleisten kann? Also das Heer an die Macht, die Diktatoriale Republik!« Er hatte es lächelnd gesagt, wurde nunaber ernst. »Wir werden das nicht zulassen, José Bernardo. Denn nicht die Jakobiner werden die monarchistische Verschwörung niederwerfen, sondern wir.« Er verzog angewidert das Gesicht. »Hier kann man nicht wie ein Kavalier handeln, mein Lieber. Die Politik ist ein Metier für Lumpen.«
Bei dem alten Murau traf der Satz offenbar auf einen Nerv, denn seine Miene heiterte sich auf, und sie hörten ihn auflachen.
»Also gut, ich gebe mich geschlagen, meine Herren Lumpen«, rief er aus. »Ich werde Maultiere, Führer und Proviant schicken und was der Halsabschneider sonst noch braucht. Muß ich auch noch dem Siebten Regiment Quartier geben?«
»Es ist sicher, daß er nicht durch dein Gebiet kommt«, dankte ihm der Baron. »Du brauchst dir nicht mal sein Gesicht anzusehen.«
»Wir dürfen nicht zulassen, daß ganz Brasilien glaubt, wir hätten uns gegen die Republik erhoben und schmiedeten Komplotte mit England, um die Monarchie wiederherzustellen«, sagte Adalberto de Gumucio. »Begreifst du das nicht, José Bernardo? Diese Intrige muß vereitelt werden,
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