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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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seiner Freunde, dieser Dichter, Musiker, Maler, Journalisten, Bummelanten, der Nachtschwärmer Salvadors, unter denen er sein Leben vertan hatte. Er erinnerte sich, wie er angefangen hatte, Äther einzuatmen, weil Äther ihm Beruhigung brachte nach diesen Attacken, nach denen er sich erschöpft und gedemütigt fühlte, ein Nervenbündel, und wie ihn später das Opium mit einem vorübergehenden, hellwachen Tod vor dem Niesen rettete. Die Liebkosungen, das Wiegen, die Tröstung, der Geruch dieser Frau, die ihr Kind getötet hatte, als er, sehr jung noch, begonnen hatte, in einer Zeitung zu arbeiten, und die jetzt Priesterin in Canudos war, waren wie das Opium und der Äther, sanft und einschläfernd, eine wohltuende Abwesenheit, und er fragte sich, ob ihn einmal, als er noch Kind war, seine Mutter, die er nicht gekannt hatte, so gestreichelt und ihm dieses Gefühl von Unverwundbarkeit und Gleichmütigkeit gegenüber den Gefahren der Welt gegeben hatte. Die Hörsäle, die Höfe des Gymnasiums der Salesianer-Patres zogen an seinem Geist vorüber, wo er aller Gespött und Opfer, eine Zielscheibe des Hohns gewesen war, wie vermutlich der Zwerg und wie vermutlich auch das lesekundige Ungeheuer, das neben ihm saß. Aufgrund seiner Niesanfälleund seiner Kurzsichtigkeit war er vom Sport, von allen wilden Spielen und Exkursionen ausgeschlossen gewesen, immer als Invalide behandelt worden. Deshalb war er schüchtern geworden, dieser unkontrollierbaren Nase wegen hatte er Taschentücher, groß wie Bettlaken, benützen müssen, und seiner Nase und seiner stumpfen Augen wegen hatte er keine Freundin, keine Braut noch Frau gehabt, hatte er in diesem ständigen Gefühl der Lächerlichkeit gelebt, das ihn davon abhielt, sich den Mädchen, die er liebte, zu erklären oder ihnen die Verse zu schicken, die er für sie schrieb und danach feige zerriß. Wegen dieser Nase und dieser Kurzsichtigkeit hatte er nur die Huren von Bahia im Arm gehalten, nur die käufliche, rasche, schmutzige Liebe kennengelernt, die er zweimal mit Purgationen und schmerzhaften Sonden-Eingriffen hatte bezahlen müssen. Auch er war ein Monstrum, ein Krüppel, invalide, abnormal. Es war nicht Zufall, daß er hier war, wo sich die Krüppel, die Behinderten, die Abnormalen, die Leidtragenden dieser Welt versammelt hatten. Es hatte so kommen müssen, denn er war einer von ihnen.
    Verstört, mit beiden Händen an die Mutter der Menschen geklammert, heulte er laut, stammelte, klagte über sein schlimmes Los und alles Unglück, das es ihm gebracht hatte, geifernd und schluchzend schüttete er seinen Groll und seine Verzweiflung aus, die gegenwärtige und die vergangene, seine ausgelöschte Jugend, die körperlichen und geistigen Enttäuschungen; mit einer Aufrichtigkeit, die er früher nicht einmal sich selbst gegenüber aufgebracht hatte, sagte er ihr, wie jämmerlich er sich fühle, wie unglücklich, weil er nie eine große Liebe geteilt, weil er nicht der erfolgreiche Dramaturg, der inspirierte Dichter geworden war, der er hätte sein wollen, weil er jetzt auf noch dümmere Weise sterben würde, als er gelebt hatte. »Das ist nicht gerecht«, hörte er sich sagen, »das ist nicht gerecht, das ist nicht gerecht.« Er spürte, daß sie ihn auf die Stirn, die Wangen, die Lider küßte, ihm gleichzeitig zärtliche, süße, unzusammenhängende Worte ins Ohr flüsterte, wie man sie einem Neugeborenen sagt, damit das eintönige Geräusch es einlullt und glücklich macht. Er fühlte auch wirklich eine große Erleichterung, eine wunderbare Dankbarkeit für diese magischen Worte: »Kindchen, Täubchen, Schäfchen ...«Plötzlich aber wurde er zurückgerissen in die Gegenwart, die Brutalität, den Krieg. Die ohrenbetäubende Explosion, die das Dach fortriß, legte plötzlich den Himmel über ihm frei, die glänzende Sonne, Wolken, den strahlenden Morgen. Holzstücke, Backsteine, zerbrochene Ziegel, verbogener Draht flogen durch die Luft, und an tausend Stellen seines Körpers, an Gesicht und Händen fühlte der kurzsichtige Journalist das Aufschlagen von Kieseln, Erdbrocken, Steinen. Doch weder er noch die Frau, noch der Löwe von Natuba wurden mitgerissen in den Einsturz. Sie standen eng beieinander, umschlungen, und der Kurzsichtige suchte verzweifelt in seinen Taschen nach der zersplitterten Brille, weil er dachte, sie sei nun endgültig zerbrochen, und künftig werde er nicht einmal mit dieser Hilfe rechnen können. Aber da war sie, unversehrt, und während er noch an die

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