Der Krieg am Ende der Welt
mich nach Frankreich aufzugeben? Er ist offen; wenn Sie Französisch lesen, werden Sie feststellen, daß er nichts enthält, was Sie kompromittieren könnte.«
Wie seine Eltern, seine Großeltern und sein Bruder Honório war er in Assaré geboren worden, einem Ort in der Provinz Ceará, wo das Vieh, das nach Jaguaribe geht, von dem getrennt wird, das ins Cariri-Tal zieht. Alle im Dorf waren Landwirte und Viehhirten, doch Antônio zeigte schon als Kind eine Berufung zum Kaufmann. Seine ersten Geschäfte tätigte er in der Katechismusstunde des Pater Matías (der ihm auch die Buchstaben und die Zahlen beibrachte). Er verkaufte an andere Kinder – oder kaufte von ihnen – Kreisel, Schusser, Drachen, Kuhstärlinge, Kanarienvögel, Singfrösche und erzielte so guteGewinne, daß er und sein Bruder, obwohl ihre Familie nicht wohlhabend war, bei dem Kaufmann Zuquieta Stammkunden für Süßigkeiten wurden. Im Unterschied zu anderen Geschwistern, die sich wie Hund und Katze vertrugen, waren die Brüder Vilanova ein Herz und eine Seele. Sie nannten sich in vollem Ernst Compadre und siezten sich.
Eines Morgens erwachte Adelinha Alencar, die Tochter des Schusters von Assaré, mit hohem Fieber. Die Kräuter, mit denen Dona Camuncha die Stube räucherte, um das Übel zu vertreiben, zeigten keine Wirkung, und wenige Tage später hatte Adelinha Pusteln am ganzen Körper und wurde von dem hübschesten Mädchen im Dorf zum abstoßendsten. Nach einer Woche lagen Dutzende von Einwohnern im Fieberdelirium und hatten ebenfalls Pusteln. Pater Tobias konnte noch eine Messe lesen und Gott bitten, der Seuche ein Ende zu bereiten, als auch er angesteckt wurde. Gleich darauf begannen die Kranken zu sterben, während die Epidemie unaufhaltsam um sich griff. Als sich die verschreckten Einwohner anschickten, fortzuziehen, mußten sie zur Kenntnis nehmen, daß Miguel Fernandes Vieira, der politische Chef der Gemeinde, Besitzer des Landes, das sie bestellten, und des Viehs, das sie weideten, es ihnen verbot, damit sie die Pocken nicht weiter in der Gegend verbreiteten. Oberst Vieira stellte Capangas an den Ortsausgängen auf, die Befehl hatten, auf jeden zu schießen, der das Verbot nicht beachtete.
Unter den wenigen, denen die Flucht gelang, waren die Brüder Vilanova. Die Seuche tötete ihre Eltern, eine Schwester, Luz Maria, einen Schwager und drei Vettern. Als Antônio und Honório, halbwüchsige, kräftige Jungen mit krausem Haar und hellen Augen, alle diese Verwandten begraben hatten, beschlossen sie zu fliehen. Aber statt wie andere mit Jagdmesser und Kugeln auf die Capangas loszugehen, überredete sie Antônio, seiner Berufung treu, gegen ein junges Rind, eine Arrobe Zucker und eine weitere Arrobe Zuckerkruste ein Auge zuzudrücken. Nachts brachen sie auf mit ihren zwei Kusinen, Antônia und Assunção Sardelinha, und dem Besitz der Familie: zwei Kühen, einem Esel, einem Koffer voll Kleider und einem Beutel mit zehntausend Reis. Antônia und Assunção waren väterlicher- und mütterlicherseits Kusinen der Brüder Vilanova,und Antônio und Honório nahmen sie mit aus Mitleid mit ihrer Schutzlosigkeit, denn die Seuche hatte sie zu Waisen gemacht. Sie waren fast noch Kinder, und ihre Anwesenheit erschwerte die Wanderung: sie waren es nicht gewohnt, durch den Busch zu gehen, und konnten den Durst schwer ertragen. Dennoch bezwang die kleine Expedition die Serra von Arararipe, ließ Santo Antônio, Ouricuri und Petrolina hinter sich und überquerte den São Francisco. Als sie nach Juazeira kamen und Antônio beschloß, sie sollten in diesem bahianischen Städtchen ihr Glück versuchen, waren beide Schwestern schwanger: Antônia von Antônio und Assunção von Honório.
Tags darauf begann Antônio zu arbeiten, während Honório mit den beiden Sardelinhas eine Hütte baute. Die Kühe aus Assaré hatten sie unterwegs verkauft, doch den Lastesel hatten sie behalten, und auf ihn stellte Antônio einen Kessel voll Schnaps, den er gläserweise in der Stadt verkaufte. Diesem Esel, später einem zweiten und dritten, lud er die Waren auf, die er in den folgenden Monaten und Jahren erst von Haus zu Haus anbot, dann in die nahegelegenen Ortschaften und zuletzt von einem Ende zum andern in alle Sertões brachte, die er dadurch kennenlernte wie seine Hand. Er handelte mit Stockfisch, Reis, Bohnen, Zucker, Pfeffer, Zuckerkruste, Stoffen, Schnaps und anderen bestellten Artikeln. Er wurde der Lieferant riesiger Fazendas und armer Kleinbauern, und seine
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