Der Krieg der Ketzer - 2
sagte er sich selbst und starrte in die Nacht hinaus. Was dir richtig Sorgen macht, das ist, dass laut Caylebs und Merlins Einschätzung – und selbst, wenn man berücksichtigt, wie weit nach Süden wir mittlerweile gekommen sind – sie spätestens vorgestern mit Black Waters Vorpostenschiffen hätten Kontakt haben müssen.
Er lächelte, doch es lag keine Belustigung in seinem Blick, dann stützte er die Unterarme auf die Reling der Heckgalerie und verlagerte sein Gewicht darauf, um sein rechtes Knie zu entlasten.
Er war sich sicher, dass der Rest der Flotte sich mittlerweile fragte, was genau er eigentlich im Schilde führte, dass er so zwischen Charis-See und Darcos Sund hin und her kreuzte. Nur zu gerne hätte er es ihnen auch erzählt. Doch wie detailliert er auch nur die Offiziere ins Vertrauen ziehen sollte, auf die er sich wirklich unbedingt verlassen konnte, wusste er einfach nicht. Sollte er ihnen erzählen, dass er sich entschieden habe, seine gesamte Strategie – und damit die ganze Hoffnung auf das Überleben seines Reiches, das Leben sämtlicher Familien, und womöglich all ihre unsterblichen Seelen – auf den Diensten eines Menschen basieren zu lassen – nein, eines Wesens, das sich womöglich als Dämon herausstellen mochte?
Er lachte leise und schüttelte den Kopf, und dann erinnerte er sich an Merlins Gesichtsausdruck, als dieser letztlich persönlich hier auf dieser Heckgalerie gestanden hatte. Was auch immer er sonst sein mochte: Allwissend war er ganz offensichtlich nicht. Tatsächlich war genau das sogar einer der Gründe für Haarahld gewesen, sich dafür zu entscheiden, ihm zu vertrauen, auch wenn er das dem Seijin – oder was immer er in Wirklichkeit auch war – niemals gesagt hatte.
Man konnte Merlin überraschen. Das bedeutete zweifellos, dass auch Merlin Fehler machen konnte. Doch was Merlin nicht konnte, das war, das zu verbergen, was er fühlte. Vielleicht war sich der Seijin dessen überhaupt nicht bewusst. Oder vielleicht konnte er es nur vor seinen Freunden nicht verbergen. Doch Haarahld hatte schon vor langer Zeit begriffen, dass Merlin ein zutiefst einsamer Mann war. Ein Mann, der verletzt worden war, sich aber weigerte, sich dem Schmerz zu ergeben. Und woher auch immer er stammen mochte, welche Kräfte er auch immer besaß, er war wahrlich stets um dieses eine Ziel bemüht, das er Haarahld bei ihrem allerersten Gespräch erklärt hatte.
Ich bin mir durchaus der Tatsache bewusst, dass er sehr wohl ein Dämon sein könnte, oh Herr, dachte Haarahld Ahrmahk und blickte erneut zu der unendlich reinen Schönheit des glitzernden Werkes auf, das dieser Gott geschaffen hatte, die Haarahld verehrte. Und wenn er das ist, und wenn ich nicht auf ihn hätte hören dürfen, dann bitte ich um Verzeihung und erflehe Deine Vergebung. Aber ich glaube nicht, dass er ein Dämon ist. Und wenn er das nicht ist, dann hast vielleicht in Wahrheit Du ihn geschickt, wer oder was auch immer er sein mag. Er ist allerdings auch nicht gerade so, wie ich mir immer einen Erzengel vorgestellt habe. Der König lächelte in die Finsternis hinein. Andererseits könntest Du wohl schicken, wen auch immer Du für richtig hältst, um diese verdorbenen Gestalten im Tempel ihre Fehler einsehen zu lassen. Und wenn es Dein Wunsch ist, dass ich das miterlebe, dann werde ich als sehr glücklicher Mann sterben. Und wenn dies nicht Dein Wunsch ist, dann, so denke ich, gibt es deutlich unwürdigere Ziele, denen zu dienen ein Mann sterben kann.
Das war nicht gerade die Art Gebet, die der Rat der Vikare gutgeheißen hätte – und das lag nicht nur am Inhalt. Doch das war König Haarahld VII. von Charis nur recht.
Schon sonderbar, dachte er. Trotz seiner Sorge, weil Cayleb sich verspätete, trotz der Tatsache, dass die ›Vierer-Gruppe‹ die Vernichtung seines Reiches angeordnet hatte, sogar trotz der Tatsache, dass selbst eine Abwehr dieses gewaltigen Angriffes nur dazu führen würde, dass die ›Vierer-Gruppe‹ es erneut versuchte – und dann gewiss mit noch stärkeren Streitkräften –, war er äußerst zufrieden. Er war den Realitäten gegenüber, was noch geschehen würde, durchaus nicht blind. Wenn Charis diesen Krieg verlor, dann würde das für alles, was Haarahld liebte, was er schätzte, was er guthieß, katastrophale Folgen nach sich ziehen. Und selbst wenn Charis diesen Krieg gewann, würde das nur dazu führen, dass sie bald vor einem weiteren Krieg stünden – und dann vor noch einem.
Haarahld
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