Der Krieg der Ketzer - 2
sagte Dynnys dann höflich zu Braunyng, »ich denke, ich würde gerne noch ein wenig meditieren, während ich diese ausgezeichnete Mittagsmahlzeit, die Ihr Koch uns serviert hat, bei einigen Schritten besser sacken lassen kann.«
»Selbstverständlich, Eure Eminenz. Ich werde dafür sorgen, dass Ihr nicht gestört werdet.«
»Ich danke Ihnen, Captain. Ich weiß das wirklich zu schätzen.«
Erneut verneigte sich der Captain, dann zog er sich ohne weitere Worte zurück und überließ die windwärtige Seite des Poopdecks ganz dem Erzbischof. Sorgsam achtete Dynnys darauf, dass seine Miene die angemessene Ernsthaftigkeit zur Schau stellte, dann zog er den leichten Mantel zurecht, den er über seiner Soutane trug, und ging gemächlichen Schrittes auf und ab; dank seines Beinbruches zog er ein Bein nach – eine ewige Erinnerung an jene Nacht −, und immer, wenn das Schiff wieder ins Rollen geriet, stützte er sich auf seinen Gehstock.
Vierundzwanzig Tage, hatte Braunyng abgeschätzt. Das waren fast fünf ganze Fünftage! Und wer wusste schon, was sich gerade in Tellesberg ereignete – oder im Tempel –, während die Seligreiche Langhorne diese Tausenden von Meilen zwischen Haven und Charis zurücklegte?
Er erinnerte sich an die Zusammenkunft, in der es ihm gelungen war, den Geistlichen Gerichtshof dazu zu bringen, den Streit um die Erbfolge in Hanth zu Gunsten von Tahdayo Mahntayl zu beenden. Damals war ihm dieser Vorschlag so einfach erschienen. Es war eine reine Routine, eine Entscheidung, die als Gegenleistung für ein großzügiges, persönliches Geschenk gefällt wurde. Doch jetzt erschien ihm diese Entscheidung ungleich gewaltiger, ungleich bedrohlicher. Damals war sie nicht mehr gewesen als ein weiterer Schritt im wohlvertrauten Tanz der einflussreichsten Diener Gottes im Tempel. Jetzt wurde Dynnys bewusst, dass die Zukunft seiner Erzdiözese viel ungewisser war, als er es jemals für möglich gehalten hatte, und dass er mit seinem eigenen Handeln – so harmlos und selbstverständlich es ihm seinerzeit erschienen war – genau den Menschen zu Diensten gewesen war, die den Reichtum und den Einfluss eben jener Erzdiözese ein für allemal gebrochen wissen wollten.
Er dachte an dieses Gespräch mit Vikar Zahmsyn zurück, das sie in diesem Winter geführt hatten. Die Besorgnis des Kanzlers war unverkennbar gewesen, und doch hatten die Beteuerungen, es stünde noch lange keine Entscheidung zum Thema ›Charis‹ an, Dynnys zumindest ein wenig besänftigt. Doch genau diese Besänftigung war gravierend untergraben worden, als der Frühling näher und näher rückte und das Eis in der Hsing-Wu-Passage schmolz. Und Dynnys’ letztes Gespräch mit Trynair, bevor er nach Tellesberg aufgebrochen war, hatte sich als ganz und gar nicht ›beruhigend‹ herausgestellt. Nicht wegen der Dinge, die der Vikar gesagt hatte, sondern eben wegen der Dinge, die der Vikar unausgesprochen gelassen hatte.
Für Dynnys bestand kein Zweifel mehr, dass der Kanzler – und vielleicht die ganze ›Vierer-Gruppe‹ – bereits eigene Schritte einleiteten, um gegen jegliche Gefahr, die von Charis drohen mochte, gewappnet zu sein. Doch keiner seiner Informanten hatte ihm sagen können, welcher Art diese ›Schritte‹ wohl sein könnten, und dadurch, dass Trynair ihm überhaupt nichts über die weiteren Pläne der ›Vierer-Gruppe‹ mitteilte, erhielt das Ganze etwas wirklich zutiefst Bedrohliches.
Kurz blieb Dynnys stehen, schaute blicklos auf das Meer hinaus. So sehr er sich darüber auch den Kopf zerbrach, ihm fielen nur zwei Dinge ein, mit denen man diesen Sturm würde abwenden können, der näher und näher rückte.
Die eine Möglichkeit wäre, seine eigene Machtposition unter Beweis zu stellen, indem er selbst entscheidend eingriff. Wenn die beunruhigenderen unter diesen Neuerungen als Übertretungen der Ächtungen eingestuft würden – oder auch nur, wenn man entscheiden konnte, dass sie einer Übertretung gefährlich nahe kamen –, und er ihnen die Billigung wieder entziehen würde, dann mochte das die ›Vierer-Gruppe‹ davon überzeugen, dass er die Lage sehr wohl auch ohne ihr unmittelbares Eingreifen zu beherrschen vermochte. Es war natürlich in keiner Weise sicher, dass es sich so auswirken würde, aber denkbar war es zumindest.
Wenn das nicht gelänge, dann bestand die einzige Möglichkeit, die er noch sah, darin, die ›Vierer-Gruppe‹ schlüssig davon zu überzeugen, dass sie im Irrtum war, wenn sie die Ereignisse
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