Der Krieg der Trolle
die Vögel zwitscherten und die Bienen summten, war es um sie herum so friedlich, dass Camila kaum die Angst, die sie noch vor wenigen Augenblicken gespürt hatte, damit in Einklang bringen konnte. Wie kann das sein, hier und jetzt?, fragte sie sich nicht zum ersten Mal.
Innerhalb weniger Tage hatte sich das Land, das sie zu kennen glaubte, völlig verändert. Jetzt konnte sie sich in ihrer Heimat nicht mehr sicher fühlen und wusste nicht, wem sie noch trauen konnte. Deshalb schlug sich die kleine Gruppe, die sie nun anführte, auch quer durch die Wildnis und mied Siedlungen, so gut es eben ging. Nur auf einem entlegenen Wehrbauernhof hatten sie Rast gemacht und sich mit Vorräten eingedeckt. Allerdings gingen diese schon wieder zur Neige. Schon am Abend würden sie die Rationen verkleinern und den Rest des Weges mit knurrenden Mägen weiterziehen müssen, bis sie den Magy erreichten und damit hoffentlich in Sicherheit waren.
» Dann lasst uns weitergehen«, schlug Denile vor, und Camila nickte.
Gemeinsam kletterten sie zurück auf den Weg. Ein kleiner Bach floss neben dem Pfad entlang; im dichten Grün der Böschung hatten sie sich verborgen. Allen stand die Angst noch ins Gesicht geschrieben. Sie alle waren bereit, beim kleinsten Anzeichen von Fremden wieder ins Unterholz zu springen. Wie eine Bande von Vogelfreien.
» Es ist nicht mehr weit«, sagte Camila laut und legte so viel Zuversicht in ihre Stimme, wie sie aufbringen konnte. Sie versuchte, nicht an Adan zu denken und daran, was wohl mit denen geschehen war, die in Starig Jazek geblieben waren. Oder was vor ihnen liegen mochte, falls Ionnis nicht nur an seinem Bruder zum Verräter geworden war, sondern am Ende gar noch den Sieg über Natiole davontrug.
Sie folgten dem Weg, bis die Sonne nur noch eine Handbreit über dem Horizont stand. Dann sahen sie vor sich Rauch aufsteigen, vielleicht von einem Kamin, vielleicht von einem offenen Feuer.
» Wir schlagen einen Bogen«, sagte Camila. Sie konnte sehen, dass einige lieber weitergegangen wären, egal, was dort auf sie wartete, aber niemand widersprach ihr. Ob sie es schon bereuen, mit mir gekommen zu sein?, fragte sie sich.
Camila konnte es ihnen kaum verdenken. Sie selbst war erschöpft, hungrig und durstig und hatte seit Tagen keine Möglichkeit gehabt, sich richtig zu waschen oder die Kleider zu wechseln.
Dennoch nahm sie sich zusammen und führte die Gruppe wieder ein Stück tiefer in den Wald. Zwischen den mächtigen Baumstämmen herrschte bereits Zwielicht, das der Umgebung den letzten Rest Vertrautheit raubte. In den tiefer werdenden Schatten fühlte sich Camila noch unsicherer, noch weniger Herrin der Lage als zuvor.
Langsam arbeiteten sie sich durch das Unterholz vor, bis sie eine große Wiese erreichten, vermutlich eine Weide. Jenseits derselben war eine Schonung zu sehen, linker Hand hinter ihnen ein kleiner Bauernhof. Das musste die Quelle des Rauchs sein, die sie gesehen hatten.
» Ich kenne den Hof«, ließ sich Denile vernehmen. » Ich war hier einige Male zu Gast und habe für sie die alten Riten durchgeführt.«
Ein Hoffnungsschimmer stieg in Camila auf.
» Vielleicht sollten wir dort rasten?«, fragte Gera, die älteste Geistseherin der Gruppe. Sie strich sich eine Strähne ihres graubraunen Haares aus der Stirn. Ihre Finger hinterließen eine Spur aus Staub auf ihrer Haut. Sie war kaum zehn Winter älter als Camila, und obwohl sie geschickt und kräftig war, wirkte sie aufgrund ihrer ergrauten Haare und der wettergegerbten Haut viel älter.
Camila rieb sich die Schläfe, während sie überlegte. Die Aussicht auf einen ordentlichen Schlafplatz, auf ein gutes Abendessen, auf einen Brunnen und frisches Wasser war verlockend.
» Wie schätzt du die Bauern ein?«, fragte sie Denile. » Sind sie vertrauenswürdig?«
Wie so oft, wenn er nachdachte, kratzte er sich an den Narben in seinem Gesicht. » Zu mir waren sie immer freundlich und respektvoll. Aber wer kann schon sagen, wie sie sich in Zeiten wie diesen verhalten werden?«
In Zeiten wie diesen, wiederholte Camila im Geiste.
» Wir können das Risiko nicht eingehen«, beschloss sie. » Es ist nicht mehr weit bis zum Fluss, und wenn wir erst einmal übergesetzt haben, können wir uns ausruhen, ehe wir nach Teremi weiterziehen und unseren rechtmäßigen Voivoden warnen. Aber solange wir südlich des Magy sind …«
Sie musste nicht weitersprechen. Alle wussten, dass sie sich auf feindlichem Gebiet befanden. Wlachaken kämpften
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