Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Titel: Der Krieg, der viele Vaeter gatte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schultze-Rhonhof
Vom Netzwerk:
National
    4
    sozialismus – noch unbekannte, ungeahnte, ja unvorstellbare Zukunft."
    Diese Perspektive der frühen 30er Jahre muß man heute jenen Menschen zugestehen, die Hitler zu der Zeit gehört und gelesen haben. Altbundespräsident Heuss versetzt sich selber später zurück in seine Lage von 1931, wenn er darüber schreibt:
    „Mein Vater hat mir eine Erziehung bürgerlicher Anständigkeit gegeben,
    in der das Verbrechen als aktuelle Form des öffentlichen Lebens nicht
    vorkam. Unsere Phantasie, auch wenn wir einige Übersicht über Greuel
    als historische Geschehen besaßen, reichte nicht so weit, das Verbrechen
    5
    als institutionelle Form staatlichen Wirkens einzusetzen."
    Gleiches kann man wohl der ganzen politischen und militärischen Elite Deutschlands in den frühen 30er Jahren unterstellen.

    Das Gebot, den Menschen jener Zeit kein späteres Wissen anzulasten, wird heute in aller Regel nicht beachtet. Dabei geht es häufig um hitlersche Zitate, deren schlimmer Sinn erst später offenkundig wird. Wie oft liest man zum Beispiel, daß Hitler

    Heuss, Seite XXXIII Heuss, Seite XXXI
    in dieser oder jener ganz bestimmten Rede schon 1933 oder wann auch immer vom Lebensraum des deutschen Volkes spricht. Der heutige Leser denkt dabei sofort an „Lebensraum im Osten" und glaubt bei der Erwähnung des Zitats, daß Hitler so früh bereits von seinen Eroberungsplänen in Polen oder der Ukraine spricht. Wenn man die Reden dann jedoch im Originaltext liest, steht dort oft sinngemäß:
    „Deutschlands Lebensraum ist zu eng. Die Deutschen müssen deshalb in
    telligenter, fleißiger und produktiver sein als andere Völker."
    Wer sollte dabei damals Schlimmes denken? Viele Historiker zitieren nur das Reizwort „Lebensraum" und schaffen damit Assoziationen, die die Deutschen in den 30er Jahren noch nicht hatten haben können. Ein anderes Reizwort, das aus dem Zusammenhang gerissen, oft mißbraucht wird, ist der „Vernichtungskrieg". Wer beurteilen will, was deutsche Bürger und Soldaten 1933 oder 1939 wissen konnten, muß die Hitler Reden in ihrer ganzen Länge lesen, und er muß vergessen, was er vom weiteren Ablauf der Geschichte weiß.

    Der Offenbarungswert der Hitler-Reden in den 30er Jahren wird auch durch den Diktator selbst gemindert. Hitler weiß offensichtlich zu verschweigen, was das Volk nicht hinnehmen würde. Ganz augenfällig trifft das auch auf den späteren Mord an Millionen von Juden zu. Der Archivar der Hitler-Reden Dr. Max Domarus resümiert zu diesem Thema:
    „In seinen öffentlichen und privaten Ansprachen hat Hitler nicht direkt
    verkündet, er wolle alle Juden vergasen oder sie auf andere Weise vom Le
    ben zum Tode befördern. Selbst im Krieg, als seine Vernichtungs
    maschinerie auf vollen Touren lief, beschränkte er sich in seinen Reden
    auf dunkle Andeutungen und Drohungen. Er wußte nur zu genau, daß ein
    derartiges Vernichtungsprogramm bei der Masse des Volkes und selbst
    6
    der Mehrzahl seiner Parteigenossen auf Ablehnung stoßen würde."
    Ein weiterer Faktor, der den Offenbarungswert der Hitler-Reden mindert, ist seine Angewohnheit, die Menschen, wenn es ihm geboten scheint, zu täuschen. Auf einem Presseempfang am 10. November 1938 in München legt Hitler dies selbst als eines seiner zweifelhaften Führungsmittel offen, als er sagt:
    „... Die Umstände haben mich gezwungen, jahrzehntelang fast nur vom
    Frieden zu reden. Nur unter der fortgesetzten Betonung des deutschen
    Friedenswillens und der Friedensabsichten war es mir möglich, dem deut
    schen Volk Stück für Stück die Freiheit zu erringen und ihm die Rüstung
    zu geben, die immer wieder für den nächsten Schritt als Voraussetzung
    notwendig war..., daß eine solche jahrzehntelang betriebene Friedens
    propaganda auch ihre bedenklichen Seiten hat, denn es kann nur zu leicht
    dazu führen, daß sich ... die Auffassung festsetzt, daß das heutige Regime
    an sich identisch sei mit dem Entschluß und dem Willen, einen Frieden
    unter allen Umständen zu bewahren." 7

    Domarus, Band 2, Seite 25 Domarus, Band 1, Seite 974
    Hier demontiert sich Hitler selbst, indem er seine Unehrlichkeit zugibt. Und er entwertet alle seine Friedensreden.

    Die hierbei vor den Presseleuten erwähnten „nächsten Schritte" sind die Angliederung Österreichs und des Sudetenlands gewesen. So läßt auch diese Rede zu der Zeit nicht zwingend darauf schließen, daß Hitler von sich aus einen Krieg eröffnen wird. Vielmehr können Presse und

Weitere Kostenlose Bücher