Der Krieg der Zauberer, Band 2: Das Orkland (German Edition)
Horizont versank, kündete vom ausklingenden Tag. Als sie ihre Blicke nach links schweifen ließen, sahen sie es: ein Wald aus grauen, verwinkelten Mauern und Säulen, von denen viele noch immer bis in Schwindel erregende Höhen emporstiegen und deren Rückseiten unmittelbar an den Fuß des Höhenzuges angrenzten. Selbst aus einiger Entfernung hatte das altehrwürdige Antlitz Bel Helims noch immer eine bemerkenswerte Ausstrahlung.
„Können wir nicht in der Ruine Rast machen?“, fragte Neimo, was ihm natürlich ähnlich sah. „Das erscheint mir der sicherste Platz weit und breit zu sein.“
„Auf gar keinen Fall!“, sagte Piruk entschieden. „Wir bleiben schön weg von dieser verdammten Stadt, ich will gar nicht wissen, ob die Gerüchte stimmen, die sich darum ranken, und ...“ Plötzlich stockte dem Ork der Atem, und auch den anderen erging es nicht viel anders.
Von Südwesten her näherte sich mit einem Mal eine Art Wolke, die klappernde und schnalzende Geräusche von sich gab und sich über den Boden voranschob. Als das Gebilde nah genug herangekrochen war, zeichneten sich in dem von Windstößen durchtobten Düster die Umrisse von Lebewesen ab, von nicht sehr großen Krabbeltieren mit einem flachen Kopf, einem breiten, froschähnlichen Maul, Zangenarmen und stachelbewehrten Schwänzen. Ihre sich immer wieder aufblähenden Mäuler sonderten Schwaden entsetzlichen Gestanks ab. Unaufhaltsam glitten und krabbelten die Kreaturen voran, teilweise auf den Rücken ihrer Artgenossen, und näherten sich geradewegs den Menschen, den Mucklins, dem Elb und dem Ork.
„Rassûl!“, schimpfte Piruk wütend. „Eine widerliche Skorpionart, deren Gift besonders gründlich tötet! Es würde mich gar nicht wundern, wenn das dein Werk ist, Neimo, denn jetzt bleibt uns tatsächlich nichts anderes übrig als unser Heil inmitten der Ruine zu suchen! Denn soweit ich weiß, fürchten sich selbst diese Giftviecher vor dem schwarzen Zauber der Istari!“
Natürlich hatte Neimo nichts mit dem Erscheinen der Rassûl zu tun, und er konnte sich ebenso wenig wie die anderen vorstellen, weshalb sich diese ansonsten eher scheuen Wüstenjäger gerade gegenüber ihnen so aggressiv zeigten. Aber sei’s drum: er hatte, was er wollte, denn die Überbleibsel Bel Helims dufteten geradezu nach Abenteuer und solchen Verboten, die er bekanntlich nur allzu gerne übertrat!
Davon abgesehen behielt Piruk Recht: die Gefährten hängten den Skorpionschwarm mit ihren schnellen Pferden nicht nur vorübergehend ab, sondern die gefährlichen Tiere dachten auch in der Tat nicht daran, sich der uralten Stadt zu nähern. Eine gute Sache, doch andererseits auch ein schlechtes Omen – mochte man meinen.
Aus der Nähe betrachtet, war die Ruine noch um einiges imposanter und riesiger, als es zuvor den Anschein gehabt hatte. Hoch ragte sie über ihnen auf, ein Irrgarten aus geborstenen Säulen und verfallenen Mauern, und dazwischen lagen aufgeschichtete Haufen herabgestürzter Steinblöcke von Manneslänge und tonnenschwerem Gewicht. Nur weniges war von der einstigen Metropole heil geblieben, doch das genügte, um einen Eindruck von dem anmutigen Prunk zu vermitteln, der hier einstmals der Wüste getrotzt hatte. Schließlich waren die Istari ein ebenso eitles wie edles Volk gewesen, das sich in seiner Blütezeit in allerlei Reichtümern und Annehmlichkeiten gesonnt hatte.
Überall gähnten leere Fenster und Türen wie offen stehende Gräber, während sich die gezackten Umrisse der Mauern von den schnell dahineilenden Wolken wie viele Reihen abgebrochener Zähne abhoben. Einstmals hatte dieser Ort, so sagte man, geglitzert wie ein Meer vor dem Sonnenuntergang. Nun hingegen waren die zerstörten Bauten voller Schatten, Stille und Verfall, und die schiefen Steinquader der alten Mauern waren dick mit Flechten und toten Pflanzenranken überwachsen und ließen nur noch erahnen, dass sich darunter an vielen Stellen Gravuren und Sinnbilder befanden, die die Geschichte ihrer Erbauer erzählten.
Die Angehörigen der Gemeinschaft bahnten sich auf den Rücken ihrer Pferde einen Pfad durch die verwüstete Stadt, bis sie nach einer Weile an eine freie Stelle gelangten, die früher vielleicht einmal ein öffentlicher Platz oder der geräumige Innenhof eines wichtigen Gebäudes gewesen war. Die auseinander gebrochenen Pflastersteine und die zernarbten, bröckeligen Wände der angrenzenden Gebäude, die sich aufeinander zuzuneigen schienen und jeden Augenblick
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