Der Krieger und der Prinz
gegangen war, schon richtig, aber auch seine Geduld musste Grenzen haben. Er war nicht erpicht auf Krieg, was allerdings nicht bedeutete, dass man ihn nicht zu einem Krieg zwingen konnte. An irgendeinem Punkt – und Leferic fürchtete, dass er diesem Punkt sehr nah war, wenn er ihn nicht bereits überschritten hatte – würde Eduin Inguilar mit Feuer und Schwert antworten müssen.
Zu hart, und seine eigenen Ritter würden gegen ihn rebellieren. In diesem Fall würde es kaum eine Rolle spielen, ob Albric seinen kleinen Neffen fand und um die Ecke brachte. Dutzende landloser Ritter und kleiner Lords konnten irgendeine entfernte Verbindung zu den Herrschern von Bullenmark beanspruchen, die stark genug war, um den Thron zu übernehmen, sollte Leferic sich als unfähig erweisen. Sie würden Galefrids Sohn nicht als Galionsfigur benötigen.
Was Leferic brauchte, war Zeit. Zeit, Ruhe und Schwerter, denen er vertrauen konnte.
Mit diesen Überlegungen schickte er einen Diener auf die Suche nach Heldric.
Während der alte Gesith die Treppe des Turms hinaufstieg, hatten bereits andere Diener Teller mit Käse, geräuchertem Fleisch und Schwarzbrot gebracht. Das Essen schmeckte wie Staub, und das dazugehörige Herbstbier hätte ebenso gut Wasser sein können, doch Leferic zwang sich zu essen, während er durch die Fenster in den Innenhof der Burg hinabschaute. Er würde seine Kraft brauchen.
Als Heldric anklopfte, drehte er sich um. »Kommt herein. Ihr könnt essen, wenn Ihr Hunger habt, und Bier trinken, wenn Ihr durstig seid.«
»Vielen Dank, aber das ist nicht nötig.« Der Gesith strich sich über den grauen Bart, der von schneeweißen Flecken durchzogen war. »Das war sehr mutig, was Ihr getan habt. Ich hoffe, die Schicksalsgötter werden Euch dafür belohnen.«
Leferic bedachte ihn mit einem sarkastischen, ungläubigen Lächeln, als er vom Fenstersims zurücktrat und sich wieder in seinen Lieblingssessel setzte. Er ließ den halb leer gegessenen Teller stehen, nahm seinen Bierhumpen jedoch mit. »Ach ja?«
»Euer nobler Vater hätte es nicht getan. Auch Euer Bruder nicht. Ich bete, dass Ihr im Recht wart, Mylord.«
»Ich bin nicht mein Vater, noch bin ich mein Bruder. Dieser Mann war ein Mörder. Er verdient den Richtblock.«
»Er war ein Mörder«, stimmte Heldric zu. »Aber die Opfer waren Langmyrner, und obwohl wir vielleicht keinen Beweis haben, wie Ihr sagt, dass die Langmyrner Euren Bruder getötet haben, so glauben es doch die meisten Eurer Lehnsleute. Einige werden sagen, Ihr hättet die Ehre Eures Bruders verraten und taugtet nicht dafür, auf dem Stuhl Eures Vaters zu sitzen. Ihnen wird Eure heutige Entscheidung nicht gefallen.«
Leferic sah ihn durchdringend an und fragte sich, ob in diesen Worten eine Drohung verborgen lag. Heldrics Lieblingsneffe war auf der anderen Seite des Flusses gefangen und getötet worden, als Leferic noch klein gewesen war. Er war damals ein Kind gewesen und kannte die Einzelheiten nicht, aber er erinnerte sich daran, dass Heldrics Neffe gehängt worden war, und diese Kränkung saß tief.
Enthauptung war die übliche Hinrichtungsmethode. Auch wenn diese Todesart das Schicksal eines Verurteilten war und daher unrühmlich, so war sie zumindest ein Tod durch die Klinge. Hängen war ehrlos. Gewöhnliche Verbrecher starben auf diese Weise: arme Tröpfe, die ihr Recht verwirkt hatten, wie Männer zu sterben. Selbst Lusian dem Fetten, Mörder von Kindern, wurde ein Tod auf dem Richtblock zugestanden.
Ein wenig von Leferics Gedanken musste sich auf seinem Gesicht widergespiegelt haben, denn Heldric wandte sich leicht ab und strich sich abermals über den Bart. Der Feuerschein fing die Schatten in seinen eingefallenen Wangen ein und vergoldete das Weiß in seinem Bart. »Edoric war ungefähr in Eurem Alter. Siebzehn. Siebzehn, und gewiss wäre er derjenige gewesen, der das Sonnenjuwel in unser Haus zurückgeholt hätte.« Er rieb sich die Knie, als besänftige er einen alten Schmerz. »Stattdessen ist er gestorben. Aber das wisst Ihr ja.«
»Nur wie«, sagte Leferic. »Nicht warum.«
»Das ›Warum‹ war eine wilde Fantasie«, erwiderte Heldric mit dem Anflug eines knappen, bitteren Lächelns. »Die Familienlegende behauptet, dass einer meiner Vorfahren vor langer Zeit, als wir noch das Haus Edorrin waren, einen Prinzen von Khartoli auf einer Pilgerreise vor den Banditen gerettet habe. Aus Dankbarkeit schenkte er uns das Sonnenjuwel: eine goldene Brosche, in die ein Edelstein
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