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Der Krieger und der Prinz

Der Krieger und der Prinz

Titel: Der Krieger und der Prinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merciel Liane
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aus silbernem Licht verblasste, als er sich erhob, und verschwand, bevor er zwei Schritte getan hatte. Die Nacht schloss sich wieder um ihn.
    Auf dem Weg stolperte er über den ersten der Soldaten. Es war so dunkel, dass Albric den Körper erst bemerkte, als sein Stiefel den Bauch des gefallenen Mannes traf. Er stützte sich an einem Baumstamm ab, um nicht der Länge nach hinzuschlagen, und schürfte sich dabei die Hand auf. Der Atem stockte ihm, und für einen Moment erstarrten seine Gedanken, als sei er ein Kind, das sich in einem leeren Raum nächtlichen Gräueln gegenübersah, und kein ausgewachsener Mann, der seit fast vierzig Jahren unter Celestias Licht lebte und den Tod bereits in allen seinen Facetten gesehen hatte.
    Zumindest in all seinen ehrlichen Facetten. Es gab einige Dinge auf dieser Welt, die zu wissen ehrliche Männer kein Recht hatten. Die heutige Nacht zwang ihn, sich das ins Gedächtnis zurückzurufen.
    Der Soldat hatte etwa zwanzig Schritte vom Feuer entfernt an einem Baum gelehnt und Wache gehalten. Eine gute Stelle, ging Albric auf, sobald er wieder einen klaren Gedanken fassen konnte; die Söldner waren in der Tat professionelle Kämpfer gewesen. Was diesem Mann jedoch nicht geholfen hatte. Sein Köcher war noch immer verschlossen, und sein Schwert war ihm von den Knien gerutscht, die Klinge geborgen in ihrer Scheide. Was immer über ihn gekommen war, es war ohne Vorwarnung gekommen.
    Und es hatte ihn nicht getötet. Der Mann atmete noch – langsam und flach, aber es stand außer Zweifel, dass er lebte. Albric konnte keine Wunden an seinem Körper entdecken. Seine Haut war kalt und klebrig wie die eines Ertrunkenen, aber sein Puls schlug stetig. Als Albric den Daumen auf die Lebensader in seinem Hals drückte, war dort immer noch ein Anflug von Wärme. Der Mann stöhnte, und seine Augen bewegten sich heftig unter den Lidern und suchten einen Fluchtweg aus irgendeinem schrecklichen Traum, aber er erwachte nicht.
    Albric stieg über ihn hinweg und ging weiter auf das Lager zu, ohne sich die Mühe zu machen, leise zu sein. Das Lagerfeuer brannte niedrig und fahl, als fürchteten die Flammen sich davor, zu weit in die Nacht hineinzugreifen. Um das Feuer herum lagen weitere Menschen, greifbare Gestalten in der körperlosen Dunkelheit. Er konnte nicht erkennen, ob sie noch atmeten.
    Als Albric das Lager betrat, explodierte vor ihm ein silbernes Licht, strahlend wie die Sonne. Er wich taumelnd zurück und riss sein Schwert aus der Scheide. Schwarze und weiße Punkte tanzten vor seinen Augen und blendeten ihn. Plötzlich wurde das Licht erträglicher, und seine immer noch tränenden Augen gewöhnten sich daran. Fluchend wischte er sich die Tränen ab.
    Dornenlady Severine stand in der Mitte des Lagers, und eine Kugel aus nebligem Licht schwebte über ihrer verstümmelten Hand. Sie hatte die Kapuze abgestreift, und ihr Haar leuchtete weiß in dem blassen Schein. Ihr unversehrtes Auge lag ebenso im Schatten wie ihr Mund und die Kuhle an ihrer Kehle, aber der kalte Kristall ihres linken Auges war blau und leuchtend wie nur je. Um sie herum lagen die Pilger und ihre Wachen in einem von Albträumen gepeinigten Schlummer; ihre Glieder zuckten, während sie sich aus ihren unnatürlichen Träumen freizukämpfen mühten.
    Albric schob das Schwert nicht zurück in die Scheide. Er fühlte sich wie ein Idiot, mit dem blanken Stahl in der Hand und ohne Feinde vor sich, aber er wollte seine Klinge nicht loslassen. Es war das einzige, dem er in dieser von Zaubern vergifteten Nacht vertraute. »Und?«
    Sie gab keine Antwort. Sie sah nicht einmal in seine Richtung. Stattdessen bahnte sie sich anmutig einen Weg durch die schlafenden Pilger, wie eine hochgeborene Dame, die auf dem Weg zu einem Festmahl über Straßenköter hinwegstieg. Als sie zu der einzigen Frau des Lagers kam, einer mittelalterlichen Matrone mit einem sorgenzerfurchten Gesicht unter der gestärkten, weißen Haube und einer Figur, die rundlich geworden war von gutem Essen und einem Haus voller Kinder, kniete Severine nieder und wiegte den Kopf der Frau auf ihrem Schoß.
    Dann lächelte sie, hob das Kinn der Frau sachte an und stieß ihr die scharfen Knochen der verstümmelten Hand in den Hals, direkt unterhalb des Ohres. Als das Blut ihres Opfers dunkel über das ersterbende Feuer spritzte, zog Severine einen kleinen Spiegel aus ihrem Umhang und bemalte sich gelassen das eigene Gesicht mit roten Runen. Nach einigen Strichen befeuchtete sie wieder

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