Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
kristallenen Auge mit ihrer teuflischen Anrufung fortfuhren und als sie erkannten, dass man sie nicht mehr erhören würde, versuchten, ihren strahlenden Schatz vor uns in Sicherheit zu bringen. Andere breiteten die Arme aus und geboten uns mit strenger Stimme und blitzendem Blick Einhalt, und wie sie es taten, war es uns ganz und gar unmöglich, weiter auf sie anzulegen, so dass unsere Kugeln nur immer wieder die gleichen Leiber trafen, die wir doch schon dreimal und viermal zur Strecke gebracht. Nur mit quälender Langsamkeit und Ausdauer gelang es uns, die Monstren in Menschengestalt in die Knie zu zwingen.
Dann spritzte Leutnant Willems Öl über den blutigen Haufen und schleuderte seine Fackel hinein, und die geschundenen Leiber der Priester gingen in Flammen auf und verschmolzen wie zu einem einzigen, feurigen Höllenwesen, das endlich sein letztes Zucken tat und verendete. Ein unbeschreiblicher Gestank füllte die Halle, und die brennenden Fette entwickelten eine solche Hitze, dass wir uns zurückziehen mussten und die Tore hinter uns verschlossen, und erst nach Stunden, in denen wir einer fiebrigen Erschöpfung erlagen und vergebens versuchten, den grauenvollen Anblick aus unserem Gedächtnis zu tilgen, kehrten wir in das Gewölbe zurück.
Die fremden metallischen Böden strahlten immer noch Wärme aus, und die Wände waren rußgeschwärzt und hatten Blasen geworfen. Das Auge war vernichtet, die gläserne Kuppel gesprungen, und ich erkannte, dass sie wie ein Kamin gewirkt haben musste, der das Feuer noch weiter angefacht, bis es schließlich erstickt war.
Grabesstille lastete nun auf dem Tempel und der Stadt vor seinen Pforten, ja auf dem ganzen Tal. Im Licht des Vollmonds bargen wir schweigend, was uns für spätere Untersuchungen lohnenswert erschien, darunter große Mengen der strahlenden Kristalle, die wir in den verkohlten Überresten und in verschiedenen Winkeln des Allerheiligsten fanden. Das Feuer hatte sie nicht in Mitleidenschaft gezogen, was alsbald Fleerackers Interesse weckte, und nach gründlicher Prüfung erklärte er, es handle sich keinesfalls um Diamanten und solche Juwelen seien ihm noch nie untergekommen, wodurch allein ihnen schon ein beträchtlicher Wert zukommen müsse, auch ungeachtet der unverständlichen Apparaturen der Priesterschaft, deren Teil sie gewesen und die nun zum größten Teile vernichtet waren.
Eine weitere, noch erstaunlichere Entdeckung erregte unsere Aufmerksamkeit. Diese hing mit eben jenen eisernen Amuletten zusammen, welche die Priester getragen und die alle einen kleinen schwarzen Stein in ihrer Mitte aufwiesen. Ich weiß nicht, wie es kam, aber Willems hatte mit einem Mal eins dieser Amulette um den Hals gelegt. Dann riss er es sich mit einem lauten Aufschrei wieder vom Körper, nur um es kurz darauf wiederum umzulegen und uns mit eigenartiger Miene zu mustern. Neugierig taten wir anderen es ihm gleich. Oh, keine Worte vermögen der wundersamen Wandlung Ausdruck zu verleihen, die sich nun mit uns vollzog! Oh Herr, vergib uns armen Seelen unseren Frevel! Der Effekt war derart überwältigend, dass wir für Stunden alles stehen und liegen ließen und uns ganz dem Studium der verhexten Amulette widmeten, ehe wir uns überhaupt bewusst machten, auf was für ein Teufelswerk wir uns da eingelassen – doch da war es auch schon zu spät für uns.
Offenbar waren es eben jene Amulette, die den Priestern ihre übermenschliche Stärke und ihren unmenschlichen Mut verliehen. Sie nehmen Schmerzen und Angst; sie lassen einen meinen, Bäume ausreißen zu können, ja unbezwinglich zu sein. Einige verraten einem, was im Herzen seines Nächsten vor sich geht, und wieder andere verleihen die Gewissheit grenzenloser Macht und Befehlsgewalt. Ehe ich mich’s versah, hatten wir mehrere dieser Amulette angehäuft und taten nichts weiter, als sie mit einer Gier, wie sie doch allenfalls törichte Frauenzimmer für schöne Kleidung empfinden, eines nach dem anderen umzulegen, und wie ich die verbrannten Ruinen der Halle und das geborstene Auge studierte, da begann ich mit einem Mal, den Sinn hinter alledem zu erahnen ...
Doch alles hat seinen Preis – und der der Verführten ist von jeher die Pein der Verdammnis. Tief in der Nacht lagen wir gleich Opiumrauchern auf unseren Lagern in der Halle der Schriftzeichen, die Augen weit aufgerissen, überwältigt von den Wundern und der Pracht, die uns die Amulette versprachen, und als Leutnant Willems sich irgendwann aufsetzte, uns Narren
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