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Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Plaschka , Matthias Mösch , Alexander Flory
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    Mit einer Mischung aus Belustigung und Bestürzung erkannte ich, was der Palast war – und was der Wicket-Keeper sich davon erhofft hatte. Er hatte geglaubt, dieses wilde Wesen reiten und die Unendlichkeit dieser Wege ordnen zu können wie eine alte Frau die Fäden an ihrem Webstuhl. Ich lachte, denn es war ebenso einfach wie genial und absurd – ein Raum, der einen anderen einnahm, Zeit, die zu vergehen aufhörte.
    Ich sah, wie sich Wege nach überall hin öffneten und die Truppen des Empires in derselben Zeit, die es brauchte, ein Auge zu schließen und wieder zu öffnen, nach Ägypten, China oder an den Nordpol sandten. Mühsame Truppentransporte, wochenlange Schiffsreisen, eingekesselte und vom Nachschub abgeschnittene Einheiten, all das gab es nicht mehr. Bald marschierte unser Heer über den ganzen Planeten und alle Planeten, die es sonst noch gab. Alles in mir schrie, weil ich die furchtbare Gefahr darin erkannte, nicht für unseren Verstand oder die Ordnung der Dinge, falls so etwas denn existierte, sondern für die Zukunft des Empires selbst: Der Admiral hatte dieses Machtinstrument nicht ersehnt, um Ihrer Majestät zu größerem Ruhm zu verhelfen. Hätte er es wirklich unter seiner Kontrolle, könnte er seine Männer ebenso in den Buckingham Palast schicken wie dessen Bewohner auf den Mond oder auf den Meeresgrund. Er war in der Tat der Wicket-Keeper – und er wartete darauf, das Wicket zum Einsturz zu bringen.
    Ich glaube, der Gedanke erschien mir einen Moment lang reizvoll. Ein Teil von mir wollte, dass das Wicket zusammenbrach. Ein Teil von mir wollte sehen, was dann geschah.
    Eine Entscheidung musste her. Noch immer stürmte das wilde Pferd, immer schwerer wurde es, es im Zaum zu halten. Noch immer goss sich das fremde Licht über uns aus, und in dem Licht schien der Palast zum Leben zu erwachen. Ich hörte die Geräusche wilder Tiere, sah die hohen Bäume und die fernen Saurier dazwischen, roch das Öl und den Dampf großer Maschinen, vernahm das Stampfen von Kolben und den Sturm in den Rohren und Fenstern und Vorhängen, ahnte die Geister all der Menschen, die diese Schatzkammer zusammengetragen hatten. Die ganze Welt war in dieser Halle vereint und wartete darauf, abgeholt zu werden. Alles, was ich tun musste, war, die Zügel fahren zu lassen.
    „Nein“, dachte ich.
    Möglich, dass ich die letzten Stunden mehr als einmal gegen meine Überzeugungen gehandelt hatte. Ich hatte die im Stich gelassen, die ich hätte schützen sollen, hatte zu täuschen versucht und war doch selbst nur getäuscht worden, und all das, wie es schien, um mich für diesen Augenblick, diese größte aller Täuschungen, zu gewinnen.
    Ich glaubte aber nicht, dass es in diesem Spiel einen Sieger geben konnte.
    Ich wusste, was ich für meine Königin tun konnte.
    „Nein!“, rief ich, diesmal laut, und es klang, als sprächen drei Stimmen gleichzeitig. Ich glaubte, die Stimmen des Niederländers und der Inderin zu hören und fragte mich, ob sie ebenso wie ich erkannten, dass allein die Tatsache, dass wir alle drei nichts sehnlicher wünschten, als dieses Tor aufzustoßen, Beweis genug dafür war, dass uns das niemals gelingen durfte.
    Leider konnte ich sie nicht finden, und sie konnten mir nicht helfen, denn sie waren zu weit weg. Also lag es an mir.
    Ich packte die wirbelnde Sphäre unter meinen Händen, was nicht einfach war, denn immer noch schienen meine Hände durch alles, was sie zu greifen versuchten, einfach hindurchzugleiten, und das Konstrukt floss wie Wasser und Licht um sie herum. Dann aber, unter Aufbietung aller mir verbliebenen Geisteskraft, schaffte ich es, meine Hände aus diesem merkwürdigen Traumland zu reißen, und fühlte kaltes Metall in meine Finger schneiden. Ich hielt es fest und zog immer fester.
    Meine Muskeln brannten, und das Hämmern meines Herzens füllte meinen Brustkorb aus. Dann fühlte ich ein Nachgeben, etwas zerbrach, und dann hatte ich das riesige Konstrukt auf den Armen, und mit ihm das stürmende Licht und alles, was darinnen lag. Ächzend wuchtete ich die Sphäre auf meine Schultern, bis ich glaubte, mein Rückgrat müsse jeden Augenblick brechen, und dann tat ich, was Atlas sich in seinen Träumen wahrscheinlich immer ausgemalt hatte, und warf das verdammte Ding in die Tiefe.
    Es stürzte, glaube ich, volle zwei oder drei Sekunden lang. Dann schlug es auf dem Boden auf, gerade neben den rosafarbenen Brunnen, und zerbarst in einem gewaltigen Blitz.

    Ein tiefes Grollen

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