Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
hatte noch nie verstanden, wie es kam, dass so wenige der Bürger des größten Imperiums, das es jemals auf dieser Erde gegeben hatte und das seine Macht zuvorderst auf der Überlegenheit seiner Kriegsflotte begründete, schwimmen konnten und wollten.
Ich ließ mich ins Wasser gleiten und zog gemächlich meine Runden. Gelegentlich legte ich auch mal eine Bahn unter Wasser zurück, meist betrachtete ich dabei die blauen Keramikkacheln unter mir, und nicht zum ersten Mal musste ich dem Wicket-Keeper dafür Respekt zollen, dass er über den Sachverstand eines Ingenieurs und die Verschlagenheit eines jüdischen Diamantenhändlers verfügte. Denn für ein normales menschliches Auge unmöglich zu erkennen verbarg sich in der Mitte des Beckens auf dem Boden eine Falltür, die zum Geheimtresor der Sektion Cricket gehörte. Auf den vier Quadratfuß dieser Tür lastete durch das Wasser darüber ein Gewicht von gut fünfzehnhundert Pfund, so dass sichergestellt war, dass niemand diesen Zugang würde öffnen können, selbst wenn er ihn zufällig entdeckte.
Noch nicht einmal der Bademeister, der sich um die Wasser-erneuerung kümmerte, wusste von der geheimen Pumpe, die ihre Energie aus einem der Kristalle bezog, und die fünftausend Kubikfuß Wasser im Becken in wenigen Minuten abpumpen und so in kurzer Zeit den Zugang zu unseren Schätzen ermöglichen konnte, wenn einmal Not am Manne sein sollte. Niemand außer dem Wicket-Keeper konnte diese Pumpe bedienen, und niemand außer ihm wusste, wo sie sich überhaupt befand.
Ich schwamm eine ganze Weile. Es gefiel mir hier unten, und ich hatte keine Lust auf Gesellschaft, wollte nichts lesen, und fürs Dinner war es noch zu früh. Also schwamm ich. Die Frage, was ich als Nächstes tun sollte, löste sich dann von selbst, als Wymer in die Schwimmhalle kam.
„Wir sollen raufkommen. Der Boss will uns zur Nachbesprechung sehen“, teilte er mir mit. Ich stieg aus dem Wasser, und während ich mich mit dem Handtuch trocken rieb, fragte ich mich, warum Wymer wohl vor mir gewusst hatte, dass der Wicket-Keeper nach uns verlangte, wenn er doch bei sich zu Hause gewesen war und ich direkt hier vor Ort. Letztlich war das aber auch egal. Ich zog mich an, und gemeinsam gingen wir nach oben. Nach einem kurzen Abstecher auf mein Zimmer betraten wir das hintere Lesezimmer.
Die Wache grüßte uns freundlich und rückte den Sessel vor der Tür weg, so dass wir durch die Geheimtür treten konnten.
Im Vorzimmer des Admirals warf mir Miss Hollister einen so durchdringenden und vorwurfsvollen Blick zu, dass ich unwillkürlich kontrollierte, ob ich nicht vergessen hatte, meinen Hosenladen zu schließen.
„Er wartet auf Sie“, sagte Miss Hollister in einem Tonfall, dass ich mich fühlte, als sei ich ein Pennäler, der wegen eines Streiches vor den Rektor zitiert wird.
Wir nickten dem alten Schlachtross zu und traten ins Allerheiligste.
Das Büro im Dachstuhl hatte man als Operationsbasis für den Wicket-Keeper ausgebaut. Der Raum erstreckte sich über die gesamte Breite des Gebäudes, auf der linken und rechten Seite gingen die Seitenwände in einer Höhe von etwa vier Fuß auf beiden Seiten in die Dachschräge über, bis sie sich am First nahezu zwölf Fuß über dem Boden trafen. Diese Deckenform gab dem Raum etwas Kathedralenhaftes. Auf der dem Eingang gegenüberliegenden Seite des Raumes fand sich ein niederer, breiter Kamin, dessen Außenseite wie die Wände und die Innenseite des Daches mit Eibenholz verkleidet war. Vor dem Kamin stand der schwere Mahagonischreibtisch des Wicket-Keepers, auf dem sich neben der Schreibunterlage, einer Menge Papieren und dem Tintenfass mit Feder (der Wicket-Keeper liebte es, auf die altmodische Weise zu schreiben) auf der einen Seite ein großer Elefant aus Elfenbein befand, den der Wicket-Keeper als Briefbeschwerer benutzte, und auf der anderen eine Büste Generalgouverneur Warren Hastings ’ . Zwischen Schreibtisch und Kamin stand ein schwerer, mit rotem Leder bezogener Sessel.
An den Seitenwänden standen einige niedrige Regale und Kommoden mit Schubladen zwischen den insgesamt vier Dachfenstern – zwei links und zwei rechts –, die sich in Erkern aus dem Dach herausschoben. Vor den Erkeröffnungen hingen schwere, grüne Samtvorhänge, die momentan allerdings alle vier an die Wand zurückgebunden waren.
An den schrägen Dachwänden hingen Ölgemälde mit Szenen aus den Kolonien, die sich leicht abnehmen ließen. Ich wusste, dass dahinter Karten
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