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Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Plaschka , Matthias Mösch , Alexander Flory
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mich“, schluckte Bailey. „Aber höchstwahrscheinlich haben Sie recht. Eventuell dient ihm das als perfide Tarnung? In der Prominenz sozusagen unterzutauchen?“
    „Meinen Sie, er ist noch vor Ort?“
    „In der Prominenz?“
    „Im Clarendon.“
    „Wer weiß?“ Er atmete tief durch. „Ich liebe diese Stadt!“
    Unter haarscharfer Vermeidung des einen oder anderen Unfalls erreichten wir Piccadilly und kurz darauf die Bond Street. Der Himmel begann, sich zuzuziehen, aber die hohen, hellen Häuser mit ihren blitzenden Erkern wirkten vor der drohenden Kulisse des Himmels wie Paläste aus einer anderen Welt – und verglichen mit den schlichten Behausungen der South Bank waren sie das auch. Die vornehmen Herrschaften auf der Straße schienen sich dessen aber ebenso wenig bewusst zu sein wie des drohenden Regengusses. Selbstvergessen bummelten sie an den Schaufenstern der Läden und Restaurants entlang oder vergnügten sich mit ihren Velozipeden. Mit Gedanken an Arbeit schienen sich die wenigsten von ihnen belasten zu müssen.
    Vor der mit flatternden Wimpeln geschmückten Fassade des Clarendon hielten wir an. Bailey half mir auszusteigen, während der Kutscher sich anschickte, das Verdeck zuzuklappen. „Warten Sie hier“, wies Bailey ihn an.
    Vor dem Eingang erwartete uns ein junger Bursche in einer scharlachroten Livree. Er trug eine gepuderte Perücke und eine weiße Seidenschleife um den Hals und nahm uns nicht zur Kenntnis, bis wir unmittelbar vor ihm standen.
    „Ich könnte ihn bestechen. Oder Sie wickeln ihn um den Finger“, überlegte Bailey laut.
    „Bitte bestechen Sie ihn“, gab ich zurück, da richtete der Page verdutzt die Augen auf mich.
    Seufzend drückte Bailey dem Burschen einen Shilling in die Hand, was ihn, denke ich, weit mehr verzauberte, als all mein Geschick es vermocht hätte. Dann hielt er ihm die Talbotypie unter die Nase, die der Journalist vor dem Lyceum aufgenommen hatten. Der Bursche schluckte. „Bring uns auf ihr Zimmer“, sagte Bailey. „Wenn sie noch da ist, lasse ich dir einen Abzug machen.“
    Der Bursche zögerte, dann nickte er und führte uns hinein und ohne Umschweife nach oben. Der ältere Mann am Empfang warf uns einen überraschten Blick zu, reagierte aber nicht schnell genug, um uns aufzuhalten.
    Vor der Tür drückte Bailey dem Pagen einen weiteren Shilling in die Hand und schickte ihn fort. Dann nickte er mir zu.
    Ich erwiderte fragend seinen Blick. Bailey wies einladend auf die Tür und nickte energischer.
    Kopfschüttelnd klopfte ich.
    „Ja?“, kam es von drinnen.
    „Das Zimmermädchen“, piepste ich. Bailey schürzte erwartungsvoll die Lippen.
    „Gehen Sie. Wir wollen ungestört sein“, kam es zurück.
    Wir? formten meine Lippen, und Baileys Antlitz verfinsterte sich. Dann sah er mich auffordernd an.
    Ich seufzte und bedeutete ihm, beiseitezutreten. Mit gespielter Fassungslosigkeit wandte er sich ab.
    Ich hob den Rock und trat die Tür ein.
    Drinnen waren die Gardinen zugezogen, und es roch nach Schweiß. In einem hohen, weichen Bett in der Mitte des Raums lag eine nur notdürftig bekleidete Dame in mittleren Jahren, die ich schon aufgrund ihrer Nacktheit als die Frau von der Talbotypie wiedererkannte. Sie stieß einen spitzen Schrei aus, als die Tür aufflog. Kaum dass wir drinnen waren, schloss Bailey die Tür hinter sich und schob eine kleine Kommode davor.
    Ich huschte auf das Bett und hielt der Nackten die Hand vor den Mund. Dann erklärte ich ihr in kurzen, klaren Sätzen, mein Name sei Isabelle Delacroix, ich sei eine französische Privatdetektivin und Bailey, den ich als Commissioner White vorstellte, arbeite für Scotland Yard. Ich sagte es so nachdrücklich wie möglich und versuchte, ihr dabei alle Bilder zu vermitteln, die eine solche Geschichte glaubhaft machten. Allzu viele fielen mir nicht ein, aber es reichte für sie, denn als ich sie fragte, ob sie verspreche, nicht zu schreien, nickte sie artig.
    Ich ließ sie los, und sie zog das Betttuch bis zum Kinn und schaute uns mit großen Augen an. Sie wirkte wie ein kleines Kind, das Angst vor dem nahen Gewitter hat, und ich konnte spüren, dass ihre Angst aufrichtig war. Draußen hatte es derweil zu regnen begonnen.
    „Was wollen Sie von uns? Was haben wir getan?“
    „Warum beginnen wir nicht damit, wen sie mit ‚wir ‘ meinen?“ schlug ich freundlich vor und gab mir Mühe, mich eines französischen Akzents zu befleißigen.
    „Nun“, zögerte sie und sah sich hilfesuchend um. Ich

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