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Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Plaschka , Matthias Mösch , Alexander Flory
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an“, schlug er vor. „Ich habe Zeit.“
    Ich zuckte die Schultern und erhob meine Stimme, als sei ich ein Brahmane und lehre ihn die Puranas. „Als Krishna die Welt verließ und das Dvapara Yuga endete ...“
    Er hob die Hand und lächelte entschuldigend. „Nicht ganz so weit vorne.“
    „Soll ich Euch von Sati erzählen, und wie es kam, dass unser Tempel einer der 52 Shakti Pithas wurde?“
    „Das klingt sehr vielversprechend“, meinte er.
    Ich nickte und hob wieder an. „Es war Brahmas Begehr, dass die Göttin Sati als Frau geboren ward. Man nannte sie Dakshayani, die Tochter des Daksha.“ Ich erzählte ihm, wie Dakshayani heranwuchs und alle Freier, die ihr die Aufwartung machten, verschmähte, weil sie fühlte, dass sie für einen anderen bestimmt war. Ich erzählte, wie sehr das ihren Vater erzürnte und wie unermesslich wütend er wurde, als Dakshayani heimlich davonging, um Shivas Gemahlin zu werden. Lange Zeit wollte sie nicht wahrhaben, wie sehr ihr Vater ihr Glück missbilligte, doch als er ein großes Fest ausrichtete und sie und Shiva nicht dazu einlud, konnte sie es nicht länger leugnen: Die Liebe zu ihrem Gemahl hatte sie von ihrer Familie entzweit, und sie nahm sich das Leben vor Schmach. In seiner Trauer und seinem Zorn sandte Shiva seine Dämonen zu Daksha, die ihn verschlangen. Dann nahm er den Leib seiner toten Frau und tanzte mit ihr den Tanz der Zerstörung. Um Shiva wieder zur Besinnung zu bringen, zerteilte Vishnu Satis Körper mit seinem Diskus, dem Sudarshana Chakra . Ihre Teile fielen auf die Erde.
    „Diese Orte sind die Shakti Pithas “, schloss ich. „Satis letzte Ruhestatt. Die Zehe ihres rechten Fußes fand man in einem See nicht weit von hier.“
    Er schmunzelte. „Eine Zehe?“
    Ich nickte.
    „Da hat es Aurvandils Zehe weiter gebracht“, sagte er. „Thor warf sie in den Nachthimmel, und dort kannst du sie heute noch sehen – jeden Morgen und jeden Abend. Sie ist der hellste Stern am Himmel.“
    „Thor?“, erkundigte ich mich.
    „Du wirst nie von ihm gehört haben. Er ist – oder war – ein Gott in der Ecke der Welt, aus der ich stamme.“
    „Er ist keiner mehr?“
    „Götter kommen und gehen. Die Geschichten aber bleiben. Ich frage mich, wie es kommt, dass man sich überall auf der Welt die immer gleichen Geschichten erzählt?“ Er beobachtete mich aufmerksam. „Osiris wurde in vierzehn Teile zerstückelt, und Isis, seine Ehefrau, setzte sie wieder zusammen. Leider fehlte ihr bis zuletzt ein entscheidender Teil – und ich rede hier nicht von seiner Zehe. Orpheus wurde von den Mänaden zerrissen, und diesmal waren es die bedauernswerten Musen, die ihn wieder einsammeln durften und am Fuße des Olymp begruben. Allerorts zerlegt man Götter und Halbgötter in ihre Einzelteile, und dann braucht es Jahrtausende, bis man die letzte Zehe wiederfindet.“
    „Alles wiederholt sich“, sagte ich und dachte daran, was mich Dania gelehrt hatte. „Die Yugas – die Zeiten – vergehen wie Jahreszeiten, und wenn sie tausend Mal vergangen sind, war das nur ein Tag im Leben Brahmas. Wenn dieser Tag vorbei ist und ein neuer beginnt, ist die Sonne erloschen, und eine neue Sonne scheint.“
    Er lächelte versonnen und sagte einige Worte in seiner Sprache, die ich nicht verstand.
    Ich sah ihn verwirrt an, und er strich mir über den Kopf. Ich war so überrascht, dass ich es geschehen ließ.
    „Keats“, sagte er. „Vielleicht wirst du ihn eines Tages lesen können.“
    Ich wusste damals nicht, was er damit meinte, und nickte nur artig.
    „Die Götter besiegten die Titanen“, erläuterte er mir, „und gelegentlich standen die Menschen kurz davor, die Götter zu besiegen – aber die Götter haben es ihnen stets recht übelgenommen. Eines Tages vielleicht ... aber nicht jetzt. Für den Moment denk einfach daran, dass die Götter deine Feinde sind.“
    „Das glaube ich nicht“, sagte ich, denn was wäre sonst von meiner Welt geblieben, und er brummte.
    „Das musst du auch nicht“, sagte er. „Wenn ich die Wahl hätte, einem dahergelaufenen Popanz oder einer unsichtbaren Stimme in meinem Kopf zu glauben, würde ich höchstwahrscheinlich auch auf Letztere setzen.“
    Ich starrte ihn mit offenem Mund bestürzt an. Nie zuvor hatte jemand außer mir die Stimme gehört. Ausgerechnet dieser Fremde ...?
    „Dachte ich’s mir doch“, sagte er befriedigt, wandte den Kopf von mir ab, nahm das Gestell von seiner Nase und begann, es zu putzen.
    „Woher wisst Ihr davon?“,

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