Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
Maschinen des Palasts betrieben, wie dem Atem einer schlafenden Frau. Ich schätzte, die verdammten Beefeater fühlten sich so, während sie am Tower Däumchen drehten und darauf hofften, dass endlich jemand bei ihnen einbräche. Oder aus. Irgendetwas sagte mir, dass ich nicht nur einen falschen Diamanten bewachte, und der Wicket-Keeper wusste das sehr gut. Ich hatte aber keinen Schimmer, und das nagte an mir.
Entsprechend war meine Stimmung gegen Ende meiner Schicht, und sie hob sich, als ich mich schließlich mit einem Frikadellenbrötchen unter eine der Ulmen setzte und die Zeitung überflog, die der Wicket-Keeper mir vermacht hatte. Es fanden sich dort noch einmal die Geschehnisse des Vortags dokumentiert, und die für die Sicherheit des Palasts verantwortlichen Stellen kamen nicht gut dabei weg. Ich fand auch den „Trauerfall“, von dem der Admiral gesprochen hatte, denn er hatte es mir angekreuzt: Sir Malcolm Sedgwick, ein angesehener Kunstexperte mit Sitz in der Kommission; eine weitere Verbindung zum Palast, die mir nicht gefiel.
„Nun“, dachte ich, als die ersten Sonnenstrahlen durch die Scheiben und die Blätter der Ulme fielen und die Zeiger der elektrischen Uhr über mir sich der Sieben näherten, meine Order lautete, nach eigenem Ermessen vorzugehen, und mein Ermessen sagte mir, die eigentliche Arbeit begänne erst. Dann kam die Ablösung, ein weiterer Fielder, ich nahm mir noch ein Stück Banbury Cake und zog los.
Der erste Wohnsitz am Südende Mayfairs war sprichwörtlich verlassen gewesen. Als niemand auf mein Klopfen reagierte, verschaffte ich mir über ein Nachbarhaus Zutritt zum Hof und brach die Tür zur Küche auf. Nur, dass es keine Küche gab. Es gab keine Möbel und keine Bilder, wohl aber Teppiche, und der Kamin sah blitzblank geputzt aus. Alles schien darauf zu warten, dass man es in Besitz nahm und nach seinem Geschmack einrichtete. Vermutlich wusste Lord Bailey einfach nicht, wohin mit seinem Geld, oder er zog gerne um. Ich verließ das Haus durch die Vordertür. Ich würde später auf dem Dienstweg veranlassen, dass sich jemand um das zerstörte Schloss kümmerte. Immerhin war dies eins der feinsten Viertel der Stadt, und höchstwahrscheinlich bot mein grober Auftritt den Nachbarn auf Wochen Gesprächsstoff.
Die zweite Wohnung, eine knappe Meile weiter Richtung Westminster, mit ausgezeichnetem Blick auf den Park und den königlichen Palast, wurde von einer chinesischen Großfamilie bewohnt, und das war schon nicht mehr ungewöhnlich, sondern eine Unverschämtheit. Ich war drauf und dran, die Polizei hinzuzuziehen, doch die Nachbarn hatten sich dem Anschein nach an die exotische Gesellschaft gewöhnt und sprachen in den höchsten Tönen von Mr. Li. Ich fragte nach Lord Bailey, aber der Name schien niemandem etwas zu sagen. Mit der ungefragten Unterstützung mehrerer Kinder und Diener machte ich den Chinesen klar, dass ich nach dem reichen englischen Gentleman suchte, dem all das hier gehörte, und da strahlten ihre Augen, und sie nickten begeistert, und ich will verflucht sein, wenn die kleine Chinesin mit den abgebundenen Füßen nicht anfing, ein Lied zu singen.
Mittlerweile war es etwa neun Uhr in der Frühe, und ich stand vor einer eher unscheinbaren Wohnung irgendwo in Belgravia. Es war die letzte Wohnung auf meiner Liste, und egal, was dabei herauskam, ich würde danach meinen Bericht wie gewünscht bei Sgt. Greenwood abliefern (ich fragte mich, ob der Sergeant auch eine Ablösung besaß und wie ich sie erkennen sollte), eine Kutsche besteigen und im Club eine Mütze Schlaf nehmen.
Ich ging die Treppenstufen zum Eingang hoch und klingelte.
Erleichtert registrierte ich, dass die Reaktion darauf weder Schweigen noch das aufgeregte Durcheinanderplappern fremdländischer Stimmen war. Leise, schlurfende Schritte näherten sich der Tür. Dann wurde sie geöffnet, und vor mir stand eine kleine, kräftige Frau in einem erdfarbenen Hauskleid mit einer Schürze um die Hüfte und einer Haube auf dem grauen Haar. Ich hob den Hut.
„Guten Morgen, Ma’am“, sagte ich.
„Guten Tag“, sagte die Alte.
„Ich möchte mit Lord Bailey sprechen“, sagte ich. „Ist er da?“
Sie musterte mich.
„Wen kann ich melden?“, fragte sie kritisch.
„Mein Name ist Royle“, sagte ich. „Captain und Brevet Major Sokrates Royle. Ich würde gern ...“
„Er ist nicht da“, antwortete die Alte.
„Wieso haben Sie mich dann eben gefragt ...“
„Er ist nicht da“, wiederholte die
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