Der Kruzifix-Killer
Daryl zwar selbst nichts mit solcherlei Filmen zu tun hatte, aber vielleicht etwas dazu wusste, was für Jerome von Interesse sein könnte.
Daryl lebte auf der Straße und schlief, wo immer er ein Loch fand, das ihm Schutz für die Nacht bot. In dieser Nacht teilte er sich mit ein paar anderen Junkies und Obdachlosen die luxuriöse Ruine eines halbverfallenen Gebäudes im Süden von Los Angeles. Jerome musste ihn bloß noch finden.
Er hatte das Gebäude aus sicherer Entfernung beobachtet und geduldig gewartet. Zwar hatte man ihm eine recht ordentliche Beschreibung von Daryl gegeben, doch irgendwie schienen die Leute, die sich hier herumtrieben, alle gleich auszusehen. Allerdings hatte Jerome einen Vorteil: Daryl war angeblich eins fünfundneunzig groß – das sollte es ziemlich leicht machen, ihn zu erkennen.
Es war schon nach ein Uhr nachts, als Jerome ein großgewachsener, schlaksiger Kerl auffiel, der die Straße überquerte und sich auf das halbverfallene Gebäude zubewegte. Jerome ging los und holte ihn mit ein paar großen Schritten ein.
»Daryl?«
Der Mann blieb stehen und drehte sich um. Seine Kleider waren schmutzig und zerlumpt, sein kahlgeschorener Schädel voller Schorf und Narben. Es war offensichtlich, dass er sich seit Tagen nicht rasiert oder gewaschen hatte. Er wirkte ängstlich.
»Wer will das wissen?«
»Ein Freund.«
Der Mann musterte Jerome von Kopf bis Fuß. Jerome hatte sein Outfit der Gegend angepasst und seinen üblichen Tausend-Dollar-Anzug gegen ein gewöhnliches T-Shirt und Bluejeans ausgetauscht. Trotzdem wirkte er für dieses Stadtviertel noch ziemlich overdressed.
»Was denn für ein Freund?«, fragte der große Kerl und wich einen Schritt zurück.
»Einer, der dir helfen kann«, sagte Jerome und zog eine kleine Zellophantüte mit einem braunen Pulver darin aus der Tasche. Er sah, wie die Augen des Mannes elektrisiert aufleuchteten.
»Was willst du von mir, Mann?«, fragte er, immer noch skeptisch.
»Ich will wissen, ob du Daryl bist.«
»Und wenn ich es bin, krieg ich dann die Tüte?«
»Hängt davon ab, ob du mir sagen kannst, was ich wissen will.«
Der Typ kam einen Schritt näher, und Jerome fiel auf, wie schwach er aussah. Es war ziemlich klar, dass Jerome die Information jederzeit aus ihm herausprügeln könnte.
»Bist du’n Bulle, Mann?«
»Seh ich vielleicht so aus?« Jerome hatte sich schon oft gefragt, wieso Leute so was fragten – als ob ein Cop, der undercover arbeitete, damit rausrücken und fröhlich antworten würde, Hey, erwischt, stimmt genau, ich bin ein Bulle .
»Kann man heutzutage schwer sagen, wie Bullen aussehen.«
»Also, ich bin jedenfalls keiner. Bist du jetzt Daryl oder nicht?«
Der Typ zögerte noch ein paar Sekunden, während seine Augen das Pulver in dem Tütchen fixierten. »Ja, bin ich.«
Ach, die Macht der Bestechung , ging es Jerome durch den Kopf. »Gut, dann können wir uns ja jetzt unterhalten«, sagte er und steckte das Tütchen wieder in die Tasche.
Daryls Blick wurde traurig wie der eines kleinen Jungen, dem man sein Spielzeug weggenommen hatte. »Worüber willst du dich unterhalten?«
»Über etwas, was du weißt.«
Daryls Gesichtsausdruck nahm eine neue, misstrauische Note an. »Und was soll das sein?«
Jerome spürte einen aggressiven Unterton in Daryls Stimme. Da war noch mehr Bestechung nötig. »Hast du Hunger? Ich hätte nämlich Lust auf was zu beißen und eine Tasse Kaffee. Um die Ecke ist ein Café, das rund um die Uhr aufhat. Wie wär’s, wenn wir da reingehen? Ich bezahle.«
Daryl zögerte noch einen Augenblick und nickte dann. »Klar, Kaffee und was zu essen wär toll.«
Sie gingen schweigend, Daryl immer zwei Schritte vor Jerome. So erreichten sie das leere Café und setzten sich an einen Tisch im hinteren Teil. Jerome bestellte Kaffee und Pancakes, Daryl einen doppelten Cheeseburger mit Pommes. Jerome ließ sich Zeit mit dem Essen, aber Daryl verschlang seines gierig.
»Willst du noch einen?«, fragte Jerome, als Daryl fertig war. Daryl trank sein Rootbeer aus und rülpste laut.
»Nee, danke. Das war genau richtig. Also, was ist das jetzt, was du wissen willst?«
Jerome lehnte sich zurück und gab sich betont locker. »Ich brauche Informationen über ein paar Leute.«
»Leute? Was für Leute?«
»Nicht sehr nette Leute.«
Daryl kratzte sich zuerst an seinem buschigen Bart und dann an der krummen Nase. »In die Kategorie passen praktisch alle, die ich kenne«, sagte er mit einem flüchtigen
Weitere Kostenlose Bücher