Der Küss des schwarzen Falken
die er schon hinter sich hatte, immer Schwierigkeiten, auseinanderzuhalten, wann er wo gewesen war.
Manchmal musste er sich sogar besinnen, wo er im Augenblick gerade war. Und jetzt, nachdem er diesen verdammten Brief von dem Anwalt aus Wolf River erhalten hatte, musste er sich zu allem Überfluss auch noch darüber Gedanken machen, wer er war. War er noch Rand Sloan? Oder war er Rand Blackhawk? Ein Blackhawk war er nur die ersten neun Jahre seines Lebens gewesen. Konnte man das einfach so wieder werden? Wollte er das überhaupt? Und wie stand es um Lizzie und Seth? Wenn sie erfuhren, dass er noch am Leben war, würden sie in ihm immer noch den Bruder sehen? Würden sie ihm verzeihen, dass er nicht nach ihnen gesucht, sondern sich hatte zum Narren halten lassen? Er selbst würde sich das jedenfalls nie verzeihen können.
Das allgemeine Gelächter der Umstehenden riss Rand aus seinen Gedanken. Er verfluchte sich dafür, dass er eine solche Versammlung überhaupt erst zugelassen hatte. Jetzt wollte er, dass sie alle verschwinden. Speziell dieser eine jüngere Rancher mit dem weißen Stetson, der Grace so unverschämt anstarrte. Er kannte diesen Mann von früher. Seiner Erinnerung nach war er geschieden, lebte mit seinen beiden Kindern zusammen und hatte sich schon damals intensiv nach einer Frau umgesehen. Offensichtlich tat er das immer noch.
Rand, der in seinem Leben noch nie richtig eifersüchtig gewesen war, gefiel das ganz und gar nicht. Und auch diese Regung, dieser Instinkt, etwas, das er besaß, verteidigen zu wollen, missfiel ihm. Zum einen konnte nicht im Geringsten davon die Rede sein, dass er Grace überhaupt besaß – er hatte sie einmal geküsst, nichts weiter –, zum anderen arbeitete er jetzt für sie, genauer gesagt, für ihre Stiftung. Das hieß, dass ihre Beziehung rein geschäftlicher Natur war. Darauf hatte er sich zu konzentrieren – nicht auf ihre vollen Lippen oder ihre herrlichen Beine oder ihre verführerischen Brüste …
Mit Schwung knallte Rand sein Bierglas auf den Tisch und fragte laut in die Runde, in der auch Pinkie stand und sich lebhaft an dem Gespräch beteiligte: “Was ist? Bekommen wir heute noch was zu essen, oder muss ich mir das selbst holen?”
“Tu dir keinen Zwang an”, antwortete Pinkie ungerührt. “Die Rippchen sind im Ofen und müssten jetzt eigentlich fertig sein.”
Rand fasste den Lokalbesitzer scharf ins Auge. “Wenn die nicht in zwei Minuten vor mir stehen”, knurrte er, “schieb ich dich auch in den Ofen.”
Pinkie seufzte ergeben, erhob sich langsam und bewegte sich Richtung Küche. Wenig später zerstreute sich auch die übrige Gesellschaft. Auch der Rancher mit dem weißen Stetson zog sich zurück, allerdings nicht, ohne Grace zuvor noch seine Karte zu überreichen und ihr zu versichern, sie könne sich jederzeit an ihn wenden, wenn sie in irgendeiner Form Unterstützung brauche.
Rand biss die Zähne aufeinander, sodass die Kiefermuskeln deutlich hervortraten.
“Fehlt ihnen etwas”, erkundigte sich Grace ein wenig besorgt.
“Oh nein, nicht das Geringste”, antwortete Rand durch die zusammengebissenen Zähne.
Grace warf ihm einen zweifelnden Blick zu, sagte aber nichts weiter. Dann wandte sie ihr Interesse wieder dem Papierdeckchen vor ihr zu, dem mit der Beschreibung der Dinosaurierfunde.
Rand wünschte sich nur noch, dass sie so schnell wie möglich von hier wegkamen.
5. KAPITEL
Es war schon spät, als Rand und Grace am nächsten Tag den Eingang zum Black River Canyon erreichten. Sie hatten kaum noch Zeit, ihr Lager im Hellen aufzuschlagen. Rand war damit beschäftigt, die Pferde zu versorgen, Grace sammelte derweil trockenes Holz und schichtete es in einer Kuhle im Erdboden auf, die sie neben ein paar Felsblöcken vorbereitet hatte, die niedrig genug waren, dass man darauf sitzen konnte. Sie brauchte dann fast eine komplette Schachtel Streichhölzer, bis sie das Feuer in Gang gebracht hatte. Als es endlich brannte, stieß sie einen kleinen Freudenschrei aus.
Im nächsten Augenblick biss sie sich auf die Lippen, als sie merkte, dass Rand, der nicht weit weg bei den Pferden stand, zu ihr herüberschaute. So gekonnt wie möglich rückte sie einen kleinen Ast in den Flammen zurecht und richtete sich auf. Rand wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Pferden zu. Sobald er ihr den Rücken zugedreht hatte, streckte sie ihm die Zunge heraus. Um keinen Preis hätte sie zugegeben, dass dies ihr erstes Lagerfeuer war, das sie in Gang gebracht
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