Der Kugelfaenger
vorsichtig an.
„Evelyn?“, fragt er in die Stille hinein, während er sich auch noch seine Manschetten aufknöpft.
Er erhält keine Antwort.
„Evelyn?“
Sie antwortet wieder nicht.
Tom lässt sich im Bad ein Glas mit Wasser voll laufen. Dann stützt er sich am Waschbecken ab. Im Spiegel sieht er, dass hinter ihm über dem Badewannenrand tropfend Evelyns Body hängt. Er wendet seinen Blick auf das Waschbecken neben ihm. Ein Frotteehandtuch liegt zusammengeknüllt daneben. Dann sieht er genauer hin. Das Waschbecken neben ihm ist mit Wasser verdünntem Blut bespritzt. Der Versuch, tödliche Erinnerungen wegzuwaschen. Wahrscheinlich ein gescheiterter Versuch.
Er hat das große Verlangen, sich die Hände zu waschen. Das Problem ist nur, dass keine Seife vorhanden ist. Er kann sich schon denken, wo die gelandet ist.
Er tritt vor die Badezimmertür.
Vielleicht schläft sie, meint er, als er das kalte Wasser hinunterstürzt.
Und wenn nicht?
Dann will sie einfach mit keinem reden.
Verständlich.
Tom starrt auf die geschlossene Zimmertür. Irgendwie macht er sich Sorgen. Er ist sich nicht sicher, ob es an dem Ausdruck liegt, der auf ihrem Gesicht lag, als er sie ins Taxi geschoben hat. Vielleicht hätte er sie nicht alleine lassen sollen.
Instinktiv stellt er das benutzte Glas ab und bewegt sich auf die verschlossene Schlafzimmertür zu.
„Miss Williams?“
Keine Antwort.
Vielleicht ist sie gar nicht da und ich rede hier gegen eine Wand.
Ja, sehr gut. Wo soll sie denn sonst sein, außer hier?
Er ergreift den Türgriff und drückt ihn entschlossen nach unten. Abgeschlossen.
„Evelyn!“ Er klopft mit seinen Knöcheln laut an die Tür.
Nichts.
Dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig.
Er geht in sein Zimmer, öffnet die Balkontür und betritt den Balkon und klettert über das Geländer auf Evelyns Balkon hinüber.
Aus ihrem Zimmer dringt durch die zugezogenen Vorhänge kaum Licht.
Tom sieht sich rasch um, entdeckt einen noch unbenutzten Aschenbecher auf dem klapprigen Tischchen, das an der Mauer lehnt und ergreift ihn.
Es knirscht, so als würde man Sand zwischen seinen Zähnen zerreiben, dann splittert das kühle Fensterglas.
Neben dem Türgriff ist ein kleines Loch in der Scheibe entstanden. Gerade groß genug, um eine Hand durchzustecken.
Tom greift durch die gähnende Leere und macht die Balkontür so von außen auf. Das gesplitterte Glas spießt sich in die Haut seines Handgelenkes.
Als die Tür offen ist, betritt er das Zimmer. Er schiebt die schweren Stoffbahnen zur Seite und ist erst einmal vom Licht der angeschalteten Lampen geblendet.
Und dann sieht er sie.
Am Fußboden, die langen Beine nahe an den Körper gezogen und mit den Armen umschlungen, sitzt sie neben dem Bett an der Wand. Sie hat sich in ihren Bademantel gehüllt. Sie hat total verheulte und geschwollene Augen. Ihre Haare sind zerzaust und das Make-up in ihrem Gesicht ist verschmiert.
Tom löst sich aus dem Schatten des Vorhangs. Sie hebt ihren Blick kurz, als er sich neben sie auf den kühlen Fußboden setzt.
„Warum haben Sie die Scheibe eingeschlagen?“
Zuerst weiß Tom nicht so genau, was er ihr darauf antworten soll. Dann meint er verlegen: „Sie haben die Türe nicht geöffnet. Ich habe mir Sorgen gemacht.“
Sie nickt leicht. Dann senkt sie ihren Kopf wieder. „Wer hat sie umgebracht?“, fragt sie nach einer Weile. Sie nimmt einen Schluck von dem Drink, der neben ihr am Fußboden steht.
Tom ist für einen Moment von ihrer direkten Frage irritiert.
„Bin ich der Grund für ihren Tod?“, fährt Evelyn ohne aufzublicken fort.
Tom durchfährt es wie ein Stromschlag. „Was? Nein, natürlich nicht.“
„Gut. Ich dachte schon, ich bin schuld.“ Sie lässt das Glas in ihren Händen kreisen.
Tom ist fassungslos. „Was reden Sie da?“ Steht sie noch immer unter Schock?
„Nun, ich dachte zuerst, jemand wollte auf mich schießen und hat stattdessen … versehentlich Valentina getroffen.“ Sie trinkt ihr Glas aus. Dann dreht sie ihren Kopf und sieht Tom in die Augen. „Dachten Sie das auch?“
Tom wird noch immer schlecht vor Sorge und Angst, wenn er an die Sekunden nach dem Schuss denkt. „Ja. Das dachte ich auch.“
„Oh Gott, ich habe es gespürt“, flüstert sie und schlägt sich die Hand vors Gesicht. „Ich habe die Kugel gespürt. Ich konnte sie spüren, wie sie an mir vorbeigesaust ist.“ Sie schüttelt entsetzt den Kopf. Dann fasst sie sich wieder und nimmt das leere Glas erneut in die
Weitere Kostenlose Bücher