Der Kugelfaenger
entschied, dass er es hier erledigen würde. Er ließ sich auf einem Hocker neben der Tür nieder, halb verdeckt von einem schmalen Regal mit Handtüchern und wartete geduldig.
***
Claire schloss die Haustür auf und betrat das kleine Ferienhäuschen. Der ausgedehnte Spaziergang hatte ihr gut getan. Sie war durchgefroren und freute sich auf eine Tasse Tee und Anatolijs warmen Körper.
Sie legte ihre Jacke im düsteren Flur ab, behielt die Schuhe aber ausnahmsweise an. „Ich bin wieder da!“, rief sie fröhlich in die Stille des Hauses hinein. Sie bekam keine Antwort. Aber das beunruhigte sie nicht. Sie spitzte vor dem Spiegel die Lippen und betrachtete kurz aufmerksam die Fältchen, die sich um ihren Mund herum eingruben und ging dann in die Küche. Dort setzte sie Teewasser auf, bereitete zwei Tassen vor, ging zum Kühlschrank und warf einen prüfenden Blick hinein.
„Anatolij, hast du Hunger?“, rief sie über ihre Schulter, während sie die gähnende Leere im Kühlgerät vor sich betrachtete.
Wieder erhielt sie keine Antwort.
„Anatolij?“ Dies rief sie schon ein wenig lauter als zuvor. Sie schloss den Kühlschrank mit einem Klacken. Sie wunderte sich kurz darüber, wo der Teppich abgeblieben war, der normalerweise mitten in der Küche lag, vergaß es aber gleich wieder. Dann ging sie zur Küchentür und spähte über den Flur die Treppe ein Stückchen hoch.
„Bist du überhaupt Zuhause?“ Sie blickte auf die Schuhe neben der Haustür. Anatolijs Schuhe standen dort. Und seine Jacke war auch noch da. Anatolij war zu Hause.
Claire löste sich vom Türrahmen und ging auf die Treppe im Obergeschoss zu. Vielleicht hatte er sich ja schlafen gelegt und konnte sie deswegen nicht hören. Sie setzte einen Fuß auf die unterste Stufe und stieg die schmale Treppe nach oben. Sie ging zur geschlossenen Schlafzimmertür und lauschte. Dann öffnete sie die Tür einen kleinen Spalt breit und lugte hinein. Das Licht des Flures fiel auf das Bett, das in der Mitte der kleinen Kammer stand. Sie sah recht bald, dass niemand schlafend im Bett lag. Die Laken waren seit dem Morgen sauber zusammengefaltet und die Kissen aufgeschüttelt.
„Anatolij?“ Ihre Stimme verlor mehr und mehr ihre Selbstsicherheit und begann stattdessen zu zittern und einen Ton höher zu werden. „Wo bist du?“ Sie schaltete das Licht im Schlafzimmer ein und sah sich um. Es war tatsächlich niemand hier. Sie schaltete das Licht wieder aus und machte die Tür hinter sich zu. Sie überlegte einen Moment. Es gab nur noch ein einziges weiteres Zimmer hier oben.
Schon an der Badezimmertür wusste sie, dass nichts so war, wie noch vor ein paar Tagen und sie wusste auch, dass es nie wieder so werden würde.
Anatolij lag in der Badewanne, was an und für sich ganz gemütlich aussah, nur auf den zweiten Blick konnte Claire schließlich erkennen, dass seine Arme ziemlich unbequem über den Badewannenrand hingen und sein Kopf, der von ihr abgewandt war, in einer unnatürlichen Position nach hinten hing.
Sie wagte nicht zu atmen und spürte ihr Herz unruhig pochen. Doch schließlich wurde ihr klar, dass Anatolij seinen Kopf nicht zu ihr herumdrehen und sie auffordern würde, sich zu ihm in die Badewanne zu setzten, bevor das Wasser kalt wurde.
Claire machte einen Schritt in das im schwachen Schein einer Stehlampe liegende Badezimmer und schlug sich die Hand vor den Mund. Dann ging sie bis zur Badewanne, verharrte einen Moment dort und sank dann neben dem toten Körper Anatolijs in die Knie und umklammerte die eine Hand, die aus dem Schaum des rot gefärbten Badewassers herausragte. Dabei bemühte sie sich, möglichst nicht direkt in dessen kalte Augen zu blicken. Ihrer Kehle entwischte ein leises Schluchzen, das schließlich immer lauter wurde, als ihr die klaffende Wunde an seinem Hals auffiel. Sie sank nach vorne und begann zu wimmern, als hätte sie Schmerzen. Doch die richtigen Schmerzen sollte sie erst noch zu spüren bekommen.
„Claire.“
Die sanfte Stimme hinter ihr veranlasste sie dazu, sich umzudrehen. Sie sah ihren Mann an, der im Halbdunkel hinter ihr stand. Dann drehte sie sich wieder zur Badewanne.
„Claire“, sagte er noch einmal und setzte sich auf den Badewannenrand.
„Verschwinde.“ Sie sah ihn nicht an.
Jean Dupont blieb eine Weile schweigend sitzen und kniete sich dann neben seine Frau und umarmte sie. „Es tut mir leid“, sagte er.
Claire rührte sich nicht. Sie ließ es zu, dass er seine Arme um sie legte. „Er ist
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