Der Kugelfaenger
Atem des anderen auf ihrer Haut spüren. Ihr Herz klopft vor Angst wie verrückt und sie glaubt, dass es ihr gleich zerspringen wird. Doch dann sieht sie die Umrisse des fremden Gesichtes und die Augen. Sie meint, leichte Fältchen darum herum erkennen zu können. Dann bewegen sich die Lippen und beginnen, leise auf sie einzureden.
„Keine Angst, Ms. Williams. Nicht erschrecken.“ Toms Augen begegnen den ihren. „Oh, verdammt. Ich habe Sie schon erschreckt.“ Leises Lachen dringt aus seiner Kehle.
Aber Evelyn hat noch immer Angst. Der Schreck steht ihr in die Augen geschrieben. Und sie mag es nicht, wenn ihr jemand die Hand vor den Mund hält.
Tom lässt seinen Arm von ihren Schultern gleiten, nur um damit ihre Hände neben ihrem Kopf an der Zimmerwand festzuhalten. Die Schere hat er zwischen zwei Finger geklemmt. Er lehnt mit seinem ganzen Gewicht an ihr. Die andere Hand nimmt er immer noch nicht von ihren Lippen. Er hat Angst, dass sie schreien könnte.
„Ganz ruhig, Ms. Williams. Keine Angst“, flüstert er beschwörend. Sein Gesicht ist dem ihren so nahe, dass sie sich schon fast berühren.
Evelyn wehrt sich nicht mehr.
„So ist es gut“, sagt Tom und es hört sich so an, als würde er mit einem kleinen Kind sprechen. „Und jetzt sagen Sie mir: Ist hier noch jemand im Haus?“ Er sieht Evelyn eindringlich ins Gesicht und nimmt dann seine Hand ein wenig von ihrem Mund.
Evelyn krächzt: „Warum
‚noch
jemand’
? Ist hier noch irgendw-“ Die Hand verschließt ihr wieder den Mund.
„Ich sagte doch, Sie sollen ruhig sein“, zischt Tom. „Nur flüstern. Also, wie viele sind im Haus?“ Er nimmt die kräftige Hand weg, hält damit aber ihren anderen Arm an die Wand gedrückt.
Evelyn schluckt. „Ich denke, einer. Also … ich habe nur
einen
gesehen. Er ist im Wohnzimmer und sucht irgendetwas. Aber warum … ist noch jemand-“ Toms Hand wandert blitzschnell von ihrem Unterarm zu ihrem Gesicht, aber Evelyn reißt ihren Kopf zur Seite.
So ein unverschämter …
„Hören Sie auf!“, faucht sie ihn an.
„Okay“, sagt Tom und lächelt. „Gut. Ich höre auf.“ Er lässt seine Hand auf ihren Arm zurücksinken.
„Lassen Sie mich bitte los“, verlangt sie. Sie flüstert.
Tom lächelt. „Gleich“, meint er. „Aber erst müssen Sie mir alles erzählen, Ms. Williams.“
„Ich habe Ihnen alles gesagt,
Mr.
Hunt
“, knurrt sie und will sich losreißen, indem sie versucht, ihm einen Tritt gegen das Schienbein zu verpassen. Allerdings ist er schneller und drückt sein Knie gegen ihr Bein. „Wir wollen uns doch nicht schlagen“, meint er und grinst.
„Okay, okay. Ich gebe auf“, sagt Evelyn und seufzt.
„Wirklich?“
„Ja. Wirklich.“
Tom zögert einen Moment, zuckt dann mit den Schultern und lässt sie los. Er bleibt aber noch genauso dicht vor ihr stehen.
Evelyn sieht ihn nicht an. „Ich denke, wir sollten uns beeilen. Sonst hat der Einbrecher da unten alles ausgeräumt, noch bevor wir es verhindern können.“
„Wir?“ Tom zieht eine Augenbraue hoch. „
Ich
werde das erledigen. Sie bleiben hier und passen auf, dass der andere nicht abhanden kommt.“
Evelyn dreht ihren Kopf mit einem Ruck herum und sieht ihn an. „Es ist tatsächlich noch einer hier?“
„Keine Sorge“, raunt Tom, „der kann Ihnen nichts mehr tun.“
Evelyn sieht ihn sprachlos an und schnappt entsetzt nach Luft. „Er ist
tot
? Haben Sie ihn
umgebracht
?“
Tom schüttelt leicht den Kopf und sieht die Wand an. „Nein. Er ist die Treppe hinuntergefallen und hat sich das Genick gebrochen.“ Er blickt Evelyn wieder an. „Sie müssen nur vorsichtig die Hauswand hinunterklettern und sich bei der Garage verstecken und darauf achten, dass die Leiche des Toten nicht plötzlich verschwindet. Wir wissen ja schließlich nicht, wie viele von denen noch hier herumlungern.“
Evelyn weigert sich. „Ich werde
nicht
da runtergehen.“ Sie flüstert, aber ihre Stimme ist scharf.
Tom starrt sie eine Sekunde an. Dann zuckt er die Schultern. „Gut, gut, dann nicht. Sie haben Recht. Das wäre viel zu gefährlich.“ Er stützt sich mit seinen Händen neben Evelyns Kopf, an der Wand ab. Er ist jetzt wieder so nahe, dass Evelyn ihre Hand nur ein wenig auszustrecken bräuchte, um mit ihren Fingern durch sein dichtes Haar zu fahren und es noch ein bisschen mehr in Unordnung zu bringen. Dann erinnert sie sich wieder daran, dass sie ihn ja eigentlich nicht ausstehen kann.
„Wo ist Ihre Tante?“, fragt Tom in ihre
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