Der Kugelfaenger
in ihrer Tasche zu suchen und kippt sie einfach auf dem Bett aus. Dann wühlt sie hektisch zwischen Lippenstiften, Taschentüchern und anderen unwichtigen Sachen herum. Niedergeschmettert muss sie feststellen, dass sich ihr Handy nicht in ihrer Handtasche befindet. Sie muss sich am Bett festhalten, um nicht umzufallen.
Vielleicht ist es ja auf dem Schreibtisch, hofft sie und mag gar nicht daran denken, wie viele Handtaschen sie eigentlich noch besitzt.
Leise schleicht sie zum hölzernen Schreibtisch hinüber. Doch hier hat sie keine Chance: Die ganze Arbeitsfläche ist total zugestellt. Hier kann sie bis zum Abwinken nach dem Handy suchen.
Unkontrolliert fahren ihre Finger zwischen den Dingen auf dem Schreibtisch hindurch. Auf einmal hört sie seltsame Geräusche. Sie duckt sich über ihrem Schreibtisch und lauscht angestrengt.
Sie hört ihr aufgeregtes Herz in ihren Ohren.
Wumm, wumm, wumm.
Nichts.
Wumm, wumm, wumm.
Nichts.
Dann knackt es wieder. Die raschelnden Geräusche nehmen zu, sie kommen näher.
Ihr Atem geht stoßweise und ihr klopft das Herz bis zum Hals, als sie erkennt: Jemand steigt an der Mauer am Rankgerüst des Efeus nach oben.
Herauf
zu
ihrem
Zimmer.
Evelyns Herz setzt für einen Schlag aus.
Der Einbrecher unten im Wohnzimmer ist nicht der einzige, denkt sie panisch. Hier ist noch ein zweiter. Und er tut genau das, wovor Tom sie gewarnt hat.
Der Efeu raschelt immer stärker. Gleich wird der Eindringling den Balkon vor ihrer Tür erreicht haben. Und diese ist offen. Sperrangelweit. Sie hat vergessen, sie zu schließen.
Ohne groß nachzudenken, öffnet sie eine der Schubladen und lässt ihre Finger zwischen einigen Bögen Papier hindurch gleiten. Da berühren sie endlich kaltes Metall. Ihre zittrigen Finger schließen sich fest um die kühle Schere. Dann geht sie ohne einen Laut, langsam, Schritt für Schritt auf die offen stehende Balkontür zu. Die schweißnassen Finger umkrallen verkrampft die spitzige Schere.
Evelyn bleibt nicht stehen; langsam aber stetig geht sie näher auf die Balkontüre zu.
Der weiße, dünne Stoff des Vorhangs, der vor die geöffnete Tür gezogen ist, wird von einem schwachen Windstoß erfasst und bauscht sich leicht. Dann lässt der Windhauch wieder nach und der Stoff streicht zurück über den Fußboden, nur um gleich darauf noch einmal von einem Luftzug ergriffen und sanft ins dunkle Schlafzimmer geweht zu werden. Der Saum tanzt über dem Parkett und wirft düstere Schatten auf dem glatten Holz.
Evelyn huscht neben die Tür und drückt sich an die kalte Wand. Frische Nachtluft streift ihr Gesicht und lässt sie erschaudern.
Keine drei Meter von ihr entfernt, klettert die fremde Gestalt über das Eisengeländer und betritt den gefliesten Balkon. Es patscht leise.
Evelyn starrt gebannt auf den schmalen Streifen Fliesen, den sie von ihrem Platz aus sehen kann. Das war das Geräusch von nackten Füßen.
Ein Einbrecher ohne Schuhe?
Evelyn überwindet ihre Überraschung und bemerkt voller Entsetzen, dass man ihren Schatten schwach auf dem Fußboden sieht. Sie drückt sich wieder nahe an die Wand. Sie versucht ihren Atem zu kontrollieren. Dann spannt sie ihre Arme an und holt mit der Schere aus. Sie wird versuchen, den Kerl im Gesicht zu treffen. Vielleicht ein Auge. Dann geht alles ganz schnell: Vor ihr taucht ein Schatten auf und gleich darauf steht jemand geduckt und wachsam in der Tür. Evelyn sticht mit der Eisenschere zu, doch noch bevor diese die Haut oder gar ein Auge der anderen Person durchbohren kann, wird sie abgelenkt und ihr aus den Händen gerissen. Ein Arm drückt ihr wie ein tonnenschweres Gewicht quer über die Schultern und presst sie hart gegen die Zimmerwand, sodass sie sich nicht mehr bewegen kann. Im selben Moment, und ohne dass sie noch reagieren kann, ist eine Hand da und legt sich so fest auf ihren Mund, dass ihr Kopf gegen den kalten Putz gedrückt wird. Diese Bewegung ist zwar grob und unnachgiebig, aber in gewisser Weise auch sanft. Ihr sollen keine Schmerzen zugefügt werden.
In Evelyns Kopf herrscht das pure Chaos. Sie weiß nicht mehr, was sie denken soll. Sie ist sich nicht einmal sicher, ob sie überhaupt an etwas denkt.
Vor ihr dreht sich alles. Sie versucht sich zu befreien, indem sie sich unter dem Griff des Fremden windet, aber die Arme drücken sie umso fester an die Wand, je stärker sie sich bewegt. Sie dreht ihren Kopf hin und her, doch die Hand ist kräftig. Ein Gesicht kommt nahe auf sie zu und sie kann den warmen
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