Der Kugelfaenger
zuckt mit den Schultern.
„Sie denken also, Evelyn sollte schon längst tot sein?“ Catherine klingt erstaunlich nüchtern.
Tom windet sich innerlich. „Ich formuliere es mal so: Unter normalen Umständen hätte man zumindest
versucht
, sie umzubringen.“ Er betrachtet den Brief noch einmal. „Allerdings … Das mit dem Huhn macht mir Sorgen.“
Catherine steht abrupt auf und geht aus der Küche.
Evelyn hat sich mittlerweile wieder gefangen. „Wie schätzen Sie die Bedrohung ein?“, möchte sie wissen und klingt ganz so, als würde sie ein Interview mit ihm führen. Fehlt nur noch, dass sie sich dazu Notizen auf einem Block macht.
Tom zuckt mit den Schultern. „Na ja, ich würde sagen, erhöhte Wachsamkeit.“
„Mehr nicht?“ Sie sieht ihn misstrauisch an.
„Ich könnte Sie auch bitten, zu Hause zu bleiben, wenn Ihnen das lieber ist.“
Sie schüttelt entschieden den Kopf. „Das geht nicht. Auf keinen Fall.“
„Ich halte es eh für das Beste, wenn Sie hier mal rauskommen.“ Er macht eine ausholende Geste, die nicht nur die Küche, sondern das ganze Haus umfasst und sich auf das gesamte London bezieht. „Aber was passiert mit Ihrer Tante?“, gibt Tom zu bedenken.
Evelyns Gesicht verfinstert sich. „Wenn ihr dieses Arschloch zu nahe kommt, dann … Sie sollte wohl am besten auch mit. Aber das Problem ist, dass sie sich wie eine Wahnsinnige weigern wird. Da haben wir keine Chance. Aber George wird bald zurück sein, dann kann sie zu ihm rüber. Sie können sein Haus ja mit Ihren Kameras und dem ganzen Schnickschnack ausrüsten. Das muss wohl reichen.“
„Ich könnte mit Greyson reden, ob er hin und wieder mal nach dem rechten sieht“, schlägt Tom vor.
„Prima. Gut, dann sind wir uns ja einig.“ Sie steht auf und folgt ihrer Tante.
Er sieht ihr nach, dann lehnt er sich in seinem Stuhl zurück und betrachtet den manipulierten Grabstein aus der Entfernung. Dieses Ding widert ihn an, genauso wie die tote Henne vor der Haustür. Er nimmt sich vor, den Absender zwischen seinen Fingern zu zerquetschen, falls er ihn je treffen sollte.
Sie beerdigen das tote Tier auf Evelyns Wunsch hin in einem der schöneren, unkrautfreien Blumenbeete. Als nächstes sieht sich Tom trotz seiner Hühnerphobie das Gewächshaus an. Die verbliebenen zwei Hennen flattern aufgeregt im Stroh umher, das an manchen Stellen Blutspuren aufweist. Sonst ist nichts zu sehen. Zur Sicherheit schaut er auch noch auf seinem Laptop nach, aber die Kameras haben nichts aufgenommen. Das verwundert ihn. Zumindest die über der Haustür hätte doch etwas aufzeichnen müssen. Er geht wieder hinunter und auf die Veranda, steigt auf einen Gartenstuhl und untersucht die gut versteckte Kamera. Fluchend muss er feststellen, dass bei dem Gerät der ‚lange haltbare Akku’, wie er im Geschäft angepriesen worden ist, leer ist. Scheiß Technik. Dann sieht er sich noch mal im Garten um. Auf der Rückseite des Hauses befindet sich ein Loch in der Hecke. Jetzt weiß er auch, wie der verrückte Hühnermörder ungesehen auf das Grundstück gelangt ist. Schließlich geht Tom wieder ins Haus und nimmt im Flur den Telefonhörer ab. Leider weiß er nur O’Connells Nummer.
„Guten Tag, mein Name ist Tom Hunt und ich würde gerne mit Sergeant Frank Greyson sprechen“, sagt er.
„Tut mir leid, aber das ist der Apparat von Chief Superintendent O’Connell“, sagt die Sekretärin mürrisch und hört sich gar nicht danach an, als täte ihr das leid.
„Ich weiß. Ich würde trotzdem gerne mit Mr. Greyson sprechen.“
„Ich stelle durch“, sagt sie mit einem Seufzer, der zeigen soll, wie sehr Tom ihre Zeit beansprucht.
Er wartet und bekommt nur ein Tuten zu hören. Nach vier Minuten ist die Sekretärin wieder dran und setzt Tom von der Abwesenheit Frank Greysons an seinem Schreibtisch in Kenntnis.
„Dann suchen Sie ihn bitte“, antwortet er so höflich wie möglich. „Es eilt.“
„Wie Sie wollen. Könnte etwas dauern.“ Damit ist sie weg.
Es dauert knappe Fünfzehn Minuten, bis die Sekretärin Frank Greyson ausfindig gemacht hat und er schließlich am Apparat ist.
„Guten Morgen, Greyson. Tom Hunt hier, der Bodyguard.“
„Oh, hallo. Gerade musste ich an Sie denken.“
„Solange Sie nicht von mir träumen, ist alles in Ordnung“, erwidert Tom.
Frank Greyson hat keine Zeit, um über Toms Witz zu lachen. „Hören Sie, Mr. Hunt, ich bin jetzt nicht an meinem Schreibtisch, aber ich habe etwas, das Sie interessieren dürfte.“
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