Der Kugelfaenger
eine Ecke. Dann vergräbt sie ihre Zehen in dem dicken Teppich.
„Hm. Geschmackvoll“, meint sie unbestimmt. Dann geht sie weiter. Sie sieht ins Badezimmer, ist erfreut, dass dort bereits Körperpflegeprodukte in kleinen Fläschchen bereitstehen, wie in Hotels üblich, wirft einen kritischen Blick in die Dusche und ins Waschbecken und sieht zufrieden aus, als sie das Bad wieder verlässt.
„Bleiben nur noch zwei Zimmer“, sagt sie.
„Unser gemeinsames Schlafzimmer“, witzelt Tom.
Evelyn wirft ihm einen letzten tödlichen Blick zu, bevor sie eine der beiden Türen öffnet – und argwöhnisch zwischen Tür und Angel stehen bleibt. Vor ihr erstreckt sich ein kleines, aber nicht zu kleines Schlafzimmer mit schweren Vorhängen und einem kleinen Balkon, von dem aus man einen tollen Blick auf die Stadt hat. Links und rechts vom Bett steht jeweils ein Nachttischchen, auf dem einen steht eine Vase mit frischen Blumen, auf dem anderen ein Telefon und eine Leselampe. Das Bett selbst sieht zwar bequem und groß aus, aber irgendwie nicht nach einem Doppelbett … Es ist nur ein Kopfkissen und eine Bettdecke vorhanden.
„Und hier ist das zweite“, sagt Tom, als er die Tür daneben öffnet. „Bitte sehr. Suchen Sie sich eines aus.“ Die beiden Zimmer haben dieselbe Aussicht und sehen auch sonst völlig identisch aus.
Evelyn steht ihm total perplex gegenüber.
Aber er hat doch gesagt …
Da muss sie grinsen und schüttelt ungläubig den Kopf. „Sie haben mich total verarscht“, sagt sie lächelnd. „Und ich habe Ihnen auch noch geglaubt. Aber das bekommen Sie zurück“, verspricht sie ihm.
Tom grinst auch, zieht sein Jackett aus und lässt es über die Lehne einer Couch fallen. „Sie dachten doch wohl nicht wirklich, dass ich mir mit Ihnen
freiwillig
ein Bett teilen würde.“
„Das hätte mich auch arg gewundert.“ Sie wandert zum anderen Schlafzimmer hinüber und wirft auch dort einen Blick hinein. Dann meint sie, noch mit einem Fuß im Zimmer: „Ich nehme dieses hier.“
„Sehr schön.“ Tom lässt sich auf eine Couch fallen und öffnet die Knöpfe an seinem Hemd.
Mann, tut das weh.
Evelyn kramt eine Weile in einer Ecke und kommt schließlich mit zwei Whiskygläsern und einem kleinen Fläschchen Cognac in der Hand an den Tisch.
„Wollen Sie auch einen Drink?“
„Gerne.“
Sie gießt die Gläser voll und reicht eines davon Tom. Das leere Cognacfläschchen lässt sie auf dem niedrigen Tischchen stehen. Dann nimmt sie das zweite Glas und lehnt sich an eine Kommode. Sie nimmt einen Schluck.
Tom leert sein Glas in einem Zug und starrt es an. Die Schnittwunde auf seiner Brust brennt höllisch.
Er sieht zu Evelyn auf. „Kann ich noch was haben?“
Evelyn sieht ihn zweifelnd an. Wenn er sich betrinken will, gerne, soll er doch. Aber nicht dann, wenn sie gemeinsam in einem Hotelzimmer wohnen sollen.
Toms Gesichtsausdruck ist allerdings so kompromisslos, dass sie wieder zur Minibar geht und eine zweite Flasche Cognac holt.
Tom steht auf und geht ins Bad. Er zieht sein mit Blutflecken übersätes Hemd aus und wirft es in den Mülleimer. Dann stützt er sich am Waschbecken ab und starrt sich in dem großen Spiegel an. Er hat einige Schrammen im Gesicht.
Evelyn kommt mit einer weiteren Flasche zurück und bleibt in der offenen Tür stehen. Sie betrachtet Tom einen Moment eingehend. Dann sieht sie im Spiegel den langen Schnitt auf seiner Brust, aus dem langsam Blut sickert.
„Sie sollten damit zum Arzt gehen“, sagt sie.
Tom wendet leicht seinen Kopf in Evelyns Richtung und sieht sie über die Schulter an. Sie geht zum Waschbecken und füllt sein Glas erneut.
Tom senkt seinen Kopf und starrt ins Waschbecken.
„Ich könnte einen Arzt rufen lassen“, sagt sie.
„Ich mag keine Ärzte.“
„Ich könnte auch irgendwo eine Salbe auftreiben.“
Tom schüttelt den Kopf. „Das passt schon.“ Er nimmt das Glas mit einer Hand und trinkt einen Schluck.
„Wirklich nicht?“, fragt sie noch einmal nach.
„Nein. Wirklich nicht.“
„Wie Sie meinen.“ Evelyn betrachtet ihn noch einmal im Spiegel, dann dreht sie sich um und geht langsam zur Tür hinaus, die sie leise hinter sich schließt. Den Cognac lässt sie am Waschbecken stehen.
***
Das heiße Wasser vermischt sich mit dem bereits angetrockneten Blut, rinnt die Haut hinab, bahnt sich seinen Weg um feine Härchen, nimmt auf seiner Reise Schmutz und Schweiß mit, vergräbt sich zwischen den Zehen, wirbelt ausgelassen um den Ausguss und
Weitere Kostenlose Bücher