Der Kugelfaenger
das ewige Geschrei der beiden anhören darf. Und abends pampt mich dann auch noch Ben an, wenn nichts Warmes auf dem Tisch steht.“
„Aber du hast den gleichen Job wie ich.“
„Das ist ja das Problem. Glaube ich. Ich weiß einfach nicht, ob ich meinen Job noch weiterhin machen kann. Mit zwei Kindern …“
„Ach, komm schon. Das meinst du doch nicht wirklich so.“ Evelyn würde gern entrüsteter klingen, hat heute aber nicht mehr die Kraft dazu.
Victoria ist seltsam still. Nur Sammys Proteste sind zu hören. Dann meint sie: „Meine besten Zeiten sind vorbei. Ich werde kaum noch gebucht.“
„Weil du fast ein Jahr weg warst.“
„Na und?“, sagt Victoria störrisch.
„Aber du hast einen fantastischen Körper!“ Evelyn ist nicht bereit, aufzugeben.
„Du hast mich noch nie
nackt
gesehen.“
„Solange Ben sich keine Geliebte anschafft, kann’s doch gar nicht so schlimm sein.“
„Ich bin fast dreißig“, legt Victoria nach.
„Ich bin achtundzwanzig.“
„Ich weiß, dass du zwei Jahre jünger bist als ich. Aber meiner Meinung nach turnt man mit dreißig nicht mehr auf einem Laufsteg rum.“
„Das ist deine Meinung. Es gibt viele erfolgreiche Models über dreißig. Schau dir doch nur mal Kate an. Oder Naomi.“
„Außerdem brauchen meine Kinder
mich
und nicht irgendeine bescheuerte Nanny. Wozu hat man denn Kinder?“
Evelyn hätte beinahe schon mit „Keine Ahnung wozu Kinder gut sind“ geantwortet, würde ihr Vicky nicht zuvorkommen. „Man hat sie bestimmt nicht, um sie kaum zu sehen. Und mein Körper ist wirklich nicht mehr so in Schuss wie vor vier Jahren.“
Evelyn hat darauf keine Antwort parat. Macht nichts, Victoria ist eh noch nicht ganz fertig. „Andererseits … Ich weiß doch auch nicht … Ach, ich bin mir einfach nicht-SAMMY! LASS DAS! Entschuldige Evelyn, aber Sammy ist heute wieder mal-NEIN, HABE ICH GESAGT! ISS DEINEN JOGHURT UND HALT DEN MUND!!“
Zuerst wimmert der vierjährige Sammy vor sich hin, dann brüllt er aus Leibeskräften: „Mummy ist dooooof! Ich will zu Daddy!“
„Ja, ja, ich weiß“, sagt Victoria barsch. „Aber dein Daddy ist noch-“ – ihre Tonlage ändert sich auf einen Schlag – „Übrigens: Deine Lieblingstalkshow kommt heute Abend im Fernsehen!“
Evelyn braucht eine Sekunde, um zu registrieren, dass Vicky mit
ihr
spricht.
„Ich weiß zwar nicht mehr wo, aber ich werde nachgucken“, verspricht Victoria.
„Nimm sie auf“, meint Evelyn.
Sammy beginnt im Hintergrund wieder zu quäken.
„Das geht leider nicht“, sagt Victoria bedauernd. „Sammy hat am Rekorder rumgespielt und Flüssigkleber reingekippt …“
Sammys Stimme wird lauter.
„… und Ben hat dann versucht, ihn wieder sauber zu machen …“
Sammys kräftiges Stimmchen hebt sich zu einem hohen, schrillen Ton.
„… aber das hat nicht funktioniert. SAMMY!“, schreit Vicky gegen den Lärm an. Sammy brüllt jetzt unüberhörbar. Evelyn kann ihre Freundin kaum mehr verstehen. „Tja, und jetzt funktioniert gar nichts mehr. Tut mir leid.“
„Nicht so schlimm. Das Zeug verstaubt sowieso bloß.“ Evelyn fühlt sich wie erschlagen. Dann versucht sie betont gut gelaunt einen erneuten Anlauf: „Ach, übrigens: Du wirst es kaum glauben, aber ich teile mir ein Zimmer mit-“
Ein Knacken im Hörer lässt sie innehalten. Dann faucht Vicky ihren weinenden Sohn an: „Also, jetzt reicht es aber. Marsch, ab mit dir ins Bett!“ Dann wendet sie sich zerstreut wieder an Evelyn. „Sorry, Evy, aber ich muss Schluss machen. Sammy gehört ins Bett.“ Dann legt sie ohne ein weiteres Wort auf.
Evelyn hört dem Tuten im Hörer eine Weile zu, dann legt sie frustriert auf.
Ja, so verläuft ein Großteil der Telefongespräche mit Victoria.
Ein sanftes Klopfen an der Tür reißt sie aus ihren trüben Gedanken. „Mhmm?“, sagt sie schlapp und stützt ihren Oberkörper mit den Armen ab. Die Tür öffnet sich und Tom steckt seinen Kopf herein. „Geht es Ihnen gut?“, fragt er fürsorglich.
Evelyn legt die Stirn in Falten. „Ist Ihnen langweilig?“
„Äh … na ja. Ein bisschen vielleicht. Wieso?“
„Weil Sie mich noch nie gefragt haben, wie es mir geht.“
„Tja, dann habe ich’s jetzt wohl getan. Zufrieden?“
Evelyn streckt sich genüsslich und gähnt. „Mhm.“
„Und? Geht es Ihnen jetzt gut oder nicht?“
„Mhm.“ Sie schließt ihre Augen.
„Haben Sie Hunger? Soll ich etwas aufs Zimmer bestellen?“
„Gerne.“
„Also“, sagt er und blickt in eine
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