Der Kult - Cordy, M: Kult - The Colour of Blood

ihr den Vortritt lassen, doch Sorcha zögerte und war plötzlich sehr nervös. Also trat er beherzt in die Dunkelheit. Sie war beeindruckt. Auch wenn er sich weigerte, die Tankstelle zu betreten, wo seine Familie gestorben war, so zögerte er doch keinen Augenblick, an einem Ort, an dem wirkliche Gefahren lauerten, die Führung zu übernehmen.
    Sie folgte ihm in den dunklen Turm. Hinter ihr schloss sich die Tür wieder, und sie standen in absoluter Finsternis. Sogleich spürte sie etwas, ein undeutliches fernes Raunen, das sie mit Grauen erfüllte und dafür sorgte, dass die Härchen auf ihren Armen sich aufstellten. Glücklicherweise schaltete in diesem Moment ein Bewegungsmelder eine Reihe versteckter Lampen an, die alles in ein sanftes stimmungsvolles Licht tauchten. Sie befanden sich am Fuß des runden Turms. Die Wände bestanden aus grob behauenem Stein, der Boden war mit Schieferplatten belegt. In der Luft hing ein Hauch von Desinfektionsmittel mit Pinienduft. In der Mitte des runden Turmfußes stand eine dicke Säule, von der aus sich zwei Wände zu den Außenmauern zogen, wodurch sie einen Raum in der Form eines Tortenstücks abtrennten. Die Tür zu diesem Bereich war verschlossen. Eine zweite Tür in der Außenwand des Turms bildete offensichtlich die Verbindung zu Delaneys Privaträumen. In der mittleren Säule, in der sich aller Wahrscheinlichkeit nach das Treppenhaus befand, war eine weitere Tür. Auf ihr prangte der mittlerweile wohlbekannte Vitruvianische Mensch samt seinem Zwilling und den Chakren entlang der Wirbelsäule.
    » Erkennen Sie irgendetwas wieder?«, flüsterte Fox.
    Sie zeigte auf das Bild. » Der ist auch auf den Türen zum großen Saal und an der Wand im Haus meines Vaters. Aber sonst kommt mir hier nichts bekannt vor.«
    Fox versuchte die Tür in der Trennwand zu öffnen, doch sie war verschlossen. Sorcha griff nach dem kleinen Keypad, probierte denselben Code, den sie zuvor eingegeben hatte, und die Tür öffnete sich. Dahinter befand sich eine wahre Schatzkammer voller High-Tech-Geräte und einem riesigen Safe. Keine Spur von ihrem Medaillon. Die Monitore, die eine der Wände bedeckten, zeigten Aufnahmen von zahlreichen Kameras, die über das gesamte Dorf verteilt waren. Von hier aus überwachte Delaney also seine Anhänger. » Er hat nicht gelogen, als er mir sagte, dass er seine Augen und Ohren überall hat«, bemerkte Sorcha.
    » Vielleicht nennt er deshalb seinen Turm das Observatorium«, überlegte Fox und machte ein paar Fotos mit seinem BlackBerry. » Das hier ist seine zynische Art, seine Anhänger zu kontrollieren und sie von seiner spirituellen Gabe zu überzeugen – sein drittes Auge.« Sorcha spürte Erleichterung in seiner Stimme. » Vielleicht ist das alles, was hinter dem Geheimnis steckt.«
    Sie wusste, dass er sich irrte und trat wie magisch angezogen zu der Tür in der Mittelsäule. Aus der Nähe betrachtet unterschied sich das Gemälde der Vitruvianischen Zwillinge leicht von den anderen Darstellungen, die sie kannte. Die farbigen Chakren entlang der Wirbelsäule, die auf den anderen Gemälden als stilisierte Wirbel dargestellt waren, entsprachen hier stilisierten Lotusblüten. Am auffälligsten aber war die Tatsache, dass die beiden Körper vertauscht waren. Auf den anderen Bildern war der physische Körper mit klaren Umrissen gezeichnet, während sein astrales Gegenstück als geisterhafter Schatten im Hintergrund blieb. Hier nun bildete der Astralkörper die leuchtende, beherrschende Komponente und der andere seinen blassen Schatten.
    Sorcha ließ Fox allein im Überwachungsraum zurück, öffnete die Tür und stieg auf die ersten Stufen einer Wendeltreppe, die hinauf in die Dunkelheit führte. Das gedämpfte Raunen war jetzt stärker – lauter. Sie schluckte und hörte undeutlich, wie Fox nach ihr rief, doch der Sirenengesang des Turms war zu verlockend. Sie ignorierte Fox’ Rufe, sie solle auf ihn warten, und stieg die dunklen Stufen hinauf. Bewegungsmelder sorgten dafür, dass das sanfte Licht sie begleitete.
    Als sie auf dem ersten Treppenabsatz ankam, wurde sie von den Echos, die auf sie einstürmten, beinahe überwältigt, so dass sie gar nicht auf die Details ihrer Umgebung achtete. Was war das nur für ein Ort? Was war hier geschehen? Sie versuchte sich daran zu erinnern, was Fox sie gelehrt hatte, und ließ die Bilder, Gerüche und Geräusche an ihr vorüberfließen, doch das hier war viel intensiver als alles, was sie in Tranquil Waters oder an den