Der Kult - Cordy, M: Kult - The Colour of Blood
Fox. Der erste Mord war ohne Zweifel ein spontaner Impuls gewesen, dem er hatte gehorchen müssen. Aber die anderen beiden? Hatte er sich die Opfer wirklich bewusst ausgesucht? Das Einzige, was er mit Sicherheit wusste, war, dass das Gefühl von Frieden, das er nach dem Töten empfunden hatte, schon bald wieder verflogen war. Deshalb hatte er die Morde in Portland auch sofort wieder vergessen, sobald er ins Dorf zurückgekehrt war. Er hatte sich eingeredet – und tat es noch –, dass es einfacher war, seinem Vater zu gehorchen und sein Schicksal zu akzeptieren, als es infrage zu stellen. Wenn der Seher Sorcha in seine Pläne miteinbezog, dann sollte es eben so sein. All die Jahre hatte Kaidan allein unter der sengenden Hitze seines prüfenden Blicks gelitten. Jetzt war es an der Zeit, dass Sorcha ihren Teil erfüllte. Was auch immer geschehen war und welche Gründe sein Vater auch hatte, Kaidan wusste, dass er immer noch unerlässlich für das Große Werk war. Der Seher brauchte sie beide – Sorcha und ihn –, um es auf die nächste Stufe zu führen. Und dennoch, Fox hatte all seine alten, nie überwundenen Gefühle wieder in ihm geweckt. Und wie sehr Kaidan sich auch wünschte, die Worte des Arztes als Unsinn abtun zu können, Fox hatte seine Wut darüber, dass der Seher ihn nach all den Opfern, die er für das Große Werk gebracht hatte, einfach so beiseite schob, genau auf den Punkt gebracht. Der Seelenklempner schien ihn besser zu verstehen als sein eigener Vater – vielleicht sogar besser als er selbst. Kaidan hatte es immer für eine große Ehre und eine besondere Auszeichnung gehalten, die Pläne seines Vaters auszuführen. Seine Position als Sohn des Sehers und dessen rechte Hand hatte nicht nur sein Leben bestimmt, sondern auch alles legitimiert, was sein Vater von ihm verlangte. Jede Tat, die er für den Seher ausführte, egal wie blutig, diente einem höheren Ziel, jenseits aller banalen Moral. Mehr noch, Kaidan war sein Erbe, er war die Zukunft. Dementsprechend schwierig war es zu ertragen, wenn seine Halbschwester, die nie irgendetwas für das Große Werk getan oder gar Opfer gebracht hatte, plötzlich zur strahlenden neuen Hoffnung erklärt wurde.
Auf dem Weg zu seinem Vater kämpfte Kaidan mit seinen sich widersprechenden Gefühlen. Er war wütend und voll Bitterkeit, aber nicht gegenüber Sorcha. Wie konnte er auf seine Halbschwester zornig sein, wenn sie mit dem Werk ihres Vaters gar nichts zu tun haben wollte? Er musste unbedingt noch vor dem Abend mit ihr reden.
Als Kaidan in ihr Zimmer trat, war Sorcha gerade damit beschäftigt, die Bruchstücke aus ihrem zerrütteten Gedächtnis und die halb erinnerten Eindrücke von ihrem Halbbruder als Kind mit dem Mörder in Einklang zu bringen, in den er sich verwandelt hatte. Sie drehte sich um und sah ihn an. » Kaidan, waren wir uns als Kinder sehr nah?«
Er setzte sich auf einen Stuhl neben dem Bett, die Hände auf den Knien. » Sie sagen, wir sind im Abstand von nur wenigen Stunden zur Welt gekommen. Als meine Mutter an Präeklampsie starb, hat deine Mutter mich angenommen wie ihren eigenen Sohn. Sie war die einzige Mutter, die ich kannte. Im Dorf haben sie uns immer die violetten Zwillinge genannt.«
Sie versuchte, sich diesen Mörder als unschuldiges Kind vorzustellen. » Haben wir aufeinander aufgepasst?«
Kaidan nickte. » Wir haben uns immer vor unserem Vater versteckt, wenn er einen seiner Wutanfälle hatte. Und du hast meine Wunden versorgt, wenn er mich geschlagen hat.«
» Hat er dich oft geschlagen?«
Er zuckte mit den Schultern. » Der Seher stellt hohe Anforderungen.«
» Was ist mit meiner Mutter – unserer Mutter? Hat sie dich beschützt?«
» Ich denke, sie hat’s versucht, aber sie hatte genug damit zu tun, dich zu schützen. Und außerdem hätte sie ohnehin nicht viel ausrichten können. Unser Vater ist der Seher. Alle verehren ihn. Niemand widersetzt sich dem Seher.« Er runzelte die Stirn, als erinnerte er sich an etwas. » Bis auf dich. Du hattest keine Angst. Manchmal hast du mich sogar beschützt.« Ein Lächeln zog über seine Lippen, und einen Moment lang wirkte er richtig lebhaft. » Einmal hatte ich Nasenbluten und habe auf eins der Bücher des Sehers getropft, und da hast du dir in den Finger geschnitten und ihm gesagt, du wärst es gewesen, die die Seiten beschmiert hat. Du hast gewusst, dass er mich dafür geschlagen hätte, aber dich würde er in Ruhe lassen.«
» Wieso?«
» Du warst unsichtbar. Eben ein
Weitere Kostenlose Bücher