Der Kult - Cordy, M: Kult - The Colour of Blood
Mädchen. Er hat nie etwas von dir verlangt. Ich glaube, deshalb hast du ihn auch immer wieder provoziert. Um seine Aufmerksamkeit zu bekommen. Als wir Kinder waren, hat unsere Mutter sich um dich gekümmert, während der Seher sich auf mich konzentrierte. Ich war seine große Hoffnung. Der violette Sohn. Die Zukunft.«
Sie erinnerte sich an das Todesecho im Turm und bekam eine Gänsehaut. » Warum hat er unsere Mutter umgebracht, Kaidan?«
Er senkte den Blick. » Das wirst du ihn fragen müssen.«
» Kaidan, was ist geschehen? Wie ist aus dem Kind, an das ich mich erinnere, ein Mörder geworden? Was ist mit dir passiert?«
Er versteifte sich und verschränkte die Arme vor der Brust. » Ich habe meine Pflicht getan. Das ist passiert. Alles, was ich getan habe, geschah im Dienst des Großen Werks.«
» Für den Seher?«
» Selbstverständlich. Was auch immer er von mir verlangt hat.«
» Was ist mit mir?« Ein Schauer lief ihr über den Rücken. » Hatte ich auch etwas mit den Morden zu tun?«
Er sah sie lange schweigend an. Dann schüttelte er den Kopf. » Nein.« Sie spürte, wie sich ihre Schultermuskeln entspannten, erleichtert, ihr altes Ich von den entsetzlichen Sünden ihrer Familie freisprechen zu können. » Du hast Glück gehabt«, sagte Kaidan. » Als Mädchen hattest du es leicht. Ich war es, den er nach seinen Vorstellungen geformt hat. Ich war es, den er als Siebenjährigen zur Arbeit ins Schlachthaus geschickt hat, um mich abzuhärten. Ich war es, den er gezwungen hat, einen Mann zu töten, als ich gerade einmal zwölf war. Von dir hat er sich nichts erwartet. Bis jetzt.«
» Habe ich von den Morden gewusst?«
Wieder schwieg er. Und wieder schüttelte er den Kopf. » Niemand, nur die engsten Vertrauten des Sehers, wissen von den Opferungen im Turm. Du hast erst an dem Tag von ihnen erfahren, an dem du weggelaufen bist.«
» Bin ich deshalb weggelaufen?« Sie beobachtete sein Gesicht und versuchte in seinen ausdruckslosen Augen zu lesen. » Oder ist noch etwas anderes passiert?«
Er sah auf seine Füße und presste die Hände zusammen. » Es wird nicht noch einmal passieren. Ich habe dem Seher versprochen, nicht noch einmal zu versagen. Heute Nacht werde ich meine Pflicht erfüllen.«
Das machte ihr Angst. » Was für eine Pflicht? Mich zu töten? Ist das der Grund, warum mein Vater plötzlich will, dass ich am Großen Werk teilhabe? Weil er ein violettes Todesecho braucht?«
Er sah zu ihr auf und seine Augen funkelten – ein Funkeln, das sie nicht interpretieren konnte. » Es ist schon seltsam. Dr. Fox hat dasselbe gedacht. Aber ich würde dich niemals töten, Sorcha. Das könnte ich nicht. Der Seher hat andere Pläne mit dir.« Er schwieg. » Mit uns.«
Irgendetwas an der Art, wie er das sagte und wie er sie dabei ansah, verstärkte ihr Unbehagen noch. » Was ist mit Nathan? Was wird mit ihm geschehen?«
» Warum? Was hast du mit ihm zu schaffen?«
» Ich verdanke ihm alles, was ich bin.«
Kaidans Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. » Weiß er, was du für ihn empfindest? Er zumindest empfindet ganz offensichtlich sehr viel für dich.«
» Wieso ist es so offensichtlich, dass er etwas für mich empfindet?«, platzte es aus ihr heraus.
» Weil er dir hierher nachgekommen ist. Weil er sein Leben für dich riskiert hat«, sagte Kaidan und betrachtete sie mit seinem starren Blick. » Weil er für dich sterben wird.«
58
Chief Detective Karl Jordache mochte Dinge nicht, die er nicht verstand. Er war Detective geworden, um Fälle zu lösen und berechtigte Zweifel auszuräumen. Doch seit er Nathan Fox’ klinisch detaillierte Aufzeichnungen zu Sorchas Todesecho-Synästhesie und Professor Samantha Quails Paper über Transkommunikation gelesen hatte, steckte er bis zum Hals in Zweifeln – begründete und unbegründete. Das Gespräch mit Samantha am Abend zuvor hatte seine Sorge, Nathan könnte recht haben mit seiner Vermutung, dass der Mörder ein Mitglied der Indigo-Familie war, nur noch verstärkt, und auch seine Schuldgefühle, weil er seinen Freund allein und ohne Rückendeckung ins Ungewisse hatte gehen lassen.
Er hatte den ganzen Vormittag über Termine mit dem Staatsanwalt gehabt, aber am frühen Nachmittag war er nach Sacramento geflogen, um mit Connor Delaney über den Kult seines Bruders zu sprechen. Als er jetzt auf der Veranda des Haupthauses stand und Connors Tochter beim Reiten zusah, musste er plötzlich an die Berichte des Gerichtsmediziners zum ersten und zum
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