Der Kult - Cordy, M: Kult - The Colour of Blood
die wie stumme Wächter dastanden und die Siedlung und ihre Geheimnisse bewachten. Selbst das gigantische Turmauge, das im Mondlicht leuchtete, konnte die Tiefe des Waldes nicht durchdringen.
Zurück in seinem Haus, ging er in seinen geheimen Raum und kontrollierte die Aufnahmen der Kameras, die über die ganze Siedlung verteilt waren. Zwei Wächter patrouillierten über die Brücke, doch die meisten Einstellungen zeigten seine Leute schlafend in ihren Betten. Normalerweise suchte er nach verbotenen Aktivitäten, damit er die Übeltäter öffentlich bloßstellen und seine Anhänger in ihrem Glauben bestärken konnte, dass ihm, dem Seher, nichts entging. Heute aber wählte er das Zimmer, in dem seine Tochter schlief. Aufgrund des schwachen Lichts war die Schwarz-Weiß-Aufnahme körnig, doch als er näher heranzoomte, konnte er ihre Gesichtszüge erkennen. Er erinnerte sich an den Tag, an dem sie geboren wurde und wie er ihr in die Augen gestarrt und sich gefragt hatte, was diese Augen wohl schon gesehen hatten, bevor sie in diese Welt gekommen war, und was sie wohl sehen würden, wenn sie einst starb. Als er nun ihr Gesicht betrachtete, lächelte er. Er hatte sie gerade noch rechtzeitig zurückgeholt, nur wenige Tage bevor er sein Großes Werk auf die nächste Stufe führen würde. Dann zoomte die Linse wieder zurück, und er spürte das aufregende Glühen der Vorfreude in seinem Bauch.
Jemand stand am Fußende von Sorchas Bett und betrachtete sie im Schlaf. Einige Sekunden lang war Delaney vor Ungläubigkeit wie gelähmt. Wie konnte ein Eindringling in Sorchas Zimmer gelangen? Was machte er hier? Wie konnte jemand es wagen, sich in seine privaten Räume zu schleichen? Als er das Gesicht des Eindringlings näher heranzoomte, verdrängte der Zorn den Schock, und er eilte in das Schlafzimmer seiner Tochter.
Erschöpft lag Sorcha im Bett und schlief. Wieder wurde sie von Albträumen heimgesucht, doch heute Nacht wirkten die galoppierenden Pferde, das Auge, das von dem drohend aufragenden Turm auf sie herunterstarrte, und die Schattengestalt, die sie verfolgte, noch realer und angsteinflößender.
Plötzlich durchstach etwas aus der realen Welt ihre Träume und zog sie aus den Untiefen ihres Unterbewusstseins empor. Als sie auftauchte, spürte sie ein immer stärker werdendes erstickendes Grauen, das auf ihre Brust drückte. Das Grauen beim Aufwachen war so groß, dass sie es sogar vorgezogen hätte, wieder in ihre bekannten Albträume zurückzukehren.
Als ihre Augen sich öffneten, hörte sie sich selbst laut aufschreien. Eine Gestalt stand neben ihrem Bett, beugte sich über sie und streckte die Hand nach ihr aus, doch in ihrem halbwachen Zustand war es ihr unmöglich, sich zu bewegen. Sie zuckte zusammen, als er ihre Augenbraue berührte und ihr über die Stirn strich.
» Keine Angst. Ich bin’s nur«, sagte die Gestalt.
Als ihre Augen richtig sehen konnten, erkannte sie ihren Vater. Eine warme Welle der Erleichterung umspülte sie. Sie war zu Hause, bei ihrer Familie. Sorcha seufzte und spürte, wie sie wieder zurück in den Schlaf glitt. Sie sah weder die Wut und die Sorge auf dem Gesicht ihres Vaters noch vernahm sie den schwachen Geruch, der noch in der Luft hing wie der Duft des Todes.
35
Als Fox an diesem Abend in seine Wohnung kam, warteten die Fotos der drei Tatorte bereits auf ihn. Er breitete sie auf dem Esstisch aus, ignorierte aber die verstümmelten Opfer und konzentrierte sich auf die Nahaufnahmen der Botschaften, die der Täter hinterlassen hatte:
DIENE DEM DÄMON
RETTE DEN ENGEL
Fox kümmerte sich nicht darum, was die Botschaften wohl zu bedeuten hatten, sondern verglich die Farben der Buchstaben mit denen auf dem Foto, das er mit dem Handy gemacht hatte. Die Farben, die Connor Delaney benutzt hatte, um » Angela« auf die Zimmertür seiner Tochter zu schreiben, entsprachen beinahe exakt denen der Filzstifte in dem Wort » Engel« auf den Tatortfotos. Auf allen Bildern waren die Es grün, die Ns blau und die Ls in unterschiedlichen Gelbtönen geschrieben. Sogar die Gs hatten ein ähnliches Braun. Fox wusste, wieso Connor Delaney genau diese Farben gewählt hatte: Er war Graphem-Farb-Synästhet und sah einzelne Buchstaben in einer bestimmten Farbe. Doch wieso hatte der Mörder die gleichen Farben für die gleichen Buchstaben verwendet? War es Zufall?
Fox holte die Notizen von seiner Sitzung mit Sorcha hervor, bei der er herausgefunden hatte, dass sie Synästhetin war. Was hatte sie gesagt,
Weitere Kostenlose Bücher