Der kurze Sommer der Anarchie
Augenblicke später waren die Gewehre schußbereit. Durruti, denn er war der Riese, der zu uns getreten war, gab ein Ziel vor, und ein paar Sekunden lang knatterten die MGs. Das Ziel, etwa fünfhundert Meter entfernt am Fuß eines Hügels aufgestellt, zerstob in Fetzen. »So müßt ihr zielen, auf den Feind, ohne zu zittern«, sagte Durruti. »Es ist besser zu fallen, als das MG im Stich zu lassen. Wenn einer von euch ein MG aufgibt und die Faschisten erwischen ihn nicht, so werde ich ihn eigenhändig erschießen. Die Freiheit eines ganzen Volkes hängt von eurer Zielgenauigkeit ab. Ein verlorenes MG ist ein MG, das sich gegen uns richten wird. Mit diesen Waffen werden wir Zaragoza einnehmen und auf Pamplona marschieren. Dort will ich einziehen mit dem Kopf des Verräters Cabanellas auf dem Kühler meines Wagens. Und wir werden nicht einhalten, bis die schwarzrote Fahne über allen Dörfern der Iberischen Halbinsel weht! Als wir Barcelona verließen, haben wir geschworen zu siegen. Ein Mann hat sein Wort zu halten. Also nehmt diese Waffen und hütet sie gut. Es darf kein Schritt zurück getan werden, solange wir noch eine Kugel haben.« Zehn Minuten in Durrutis Nähe genügten, um die Leute mit seinem Optimismus anzustecken. Dieser Optimismus war es, der die Massen anzog. Er verband sich mit einem seltenen Mut, einer vollkommenen Aufrichtigkeit, einer großen Solidarität und einem guten Sinn für Strategie. Diesen Qualitäten verdankte die Kolonne Durruti ihre Siege.
Carrasco de la Rubia
Ich war damals für die Intendanz der Milizen in Katalonien verantwortlich und hatte mein Quartier in der Pedralbes-Kaserne in Barcelona, die den Namen »Michail Bakunin« trug. Jeden Tag telefonierte ich mit den Anführern der einzelnen Kolonnen und nahm ihre Anforderungen entgegen. Sie verlangten Männer, Kriegsmaterial, Medikamente und Kleider. Ich schickte ihnen jeden Tag soviel ich konnte an die Front, mit der Bahn oder mit Lastwagen.
Durruti war von allen Kolonnenführern der anspruchsvollste. Er rief mich immer abends gegen acht Uhr an. »Bist du es, Ricardo?« »Ja, was gibts?«
»Was es gibt? Nichts gibt es! Die Ersatzteile für die MGs, die ich gestern angefordert habe, sind immer noch nicht da.« »Ich habe sie nicht schicken können, weil wir keine mehr im Magazin haben. Ich habe bei der Hispano-Suiza eine Lieferung bestellt. Aber sie müssen erst nachgefertigt werden.« »Ich brauche sie dringend. Mach Dampf dahinter. Wie viele Karabiner hast du noch?« »Ungefähr zweihundert.« »Gut, schick mir zweihundert.« »Und die anderen Kolonnen?« »Müssen eben sehen, wo sie bleiben.« »Ich schick dir eine Partie, aber nicht alle zweihundert.« »Wie sieht es mit Ambulanzen aus?« »Wir haben hier noch sechs stehen.« »Schick mir vier davon.«
»Nein, höchstens eine, mehr geht nicht. Dafür kann ich dir 200 Freiwillige schicken, die sich für deine Kolonne gemeldet haben.« »Kann ich nicht brauchen. Jeden Tag kommen hier Hunderte von Leuten aus den Dörfern an, und ich weiß nicht, was ich mit ihnen anfangen soll. Was ich brauche, sind MGs, Geschütze und jede Menge Munition.«
»Schon gut, ich kümmere mich darum.«
»Also vergiß die Ambulanz nicht. Und Karabiner soviel wie möglich.«
»Einverstanden. Bis morgen.«
»Moment! Die Ersatzteile für die MGs, daß du die nicht vergißt.«
»Auf keinen Fall. Du bist schlimmer als ein Bettelmönch. Bis morgen!«
Durch seine Hartnäckigkeit gelang es Durruti, seine Kolonne mit allem auszurüsten, was zur Kriegführung notwendig war. Er hatte eine eigene Sanitätsabteilung, einen Stab, eine Feldküche, eine Funkstation mit einem starken Sender, der den ganzen Krieg über Nachrichten und Kommentare ausstrahlte und in ganz Europa bekannt war, eine fahrbare Felddruckerei und eine eigene Wochenzeitung, El Frente, die an die Soldaten der Kolonne gratis verteilt wurde.
Ricardo Sanz 3
Als der Bürgerkrieg losging, da sagte unsere Organisation, die CNT: Ihr bleibt gefälligst hier! Das geht nicht, daß alle an die Front laufen, jetzt, wo die Fabriken in den Händen der Arbeiter sind, und der Handel und alles andre, jetzt muß das organisiert werden, und ihr müßt hierbleiben, in der Etappe.
Also bin ich den ersten Monat lang in Badalona geblieben. Aber länger hielt ich es nicht aus, denn alle möglichen Leute redeten plötzlich in alles Mögliche rein. Jetzt wollten auf einmal alle dabeisein und mitmischen in der Organisation, weil sie da einen Freund hatten oder dort einen
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