Der Kuss der Göttin (German Edition)
niedergeschlagen. Er hat mich vom Rand der Tränen zurückgeholt, aber nur knapp. Denn ich fühle mich tatsächlich nach weniger. Alles ist einfach … weniger.
»Also«, sagt Benson und lenkt mich wieder ab. »Sagen wir, Reese und Jay sind nicht, wer sie behaupten zu sein – und das könnte sein. Wie wären sie an dich herangekommen? Du warst noch siebzehn. Das Jugendamt übergibt dich nicht einfach irgendwem, der behauptet, dein nächster Verwandter zu sein.«
»Sie haben die Vormundschaft über das Testament meiner Eltern bekommen, glaube ich. Wäre es so schwierig, sich einen falschen Ausweis zu besorgen?«
»Ich denke, da bräuchte man mehr als das«, beharrt Benson.
»Ich weiß nicht. Mit genug Geld kannst du so ungefähr alles abziehen. Und wenn sie in irgendeine Art organisiertes Verbrechen verwickelt sind, garantiere ich dir: Sie haben Mittel und Wege.«
»Okay, sagen wir, das wäre der Fall.« Er breitet die Hände aus. »Wo sind dann die echten Reese und Jay?«
Ich atme ein. Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Nein, zwinge ich mich zur Ehrlichkeit. Ich wollte nicht darüber nachdenken. »Ist es allzu weit hergeholt zu glauben, sie haben sie umgebracht?«
»Ich denke nicht. Oder«, fährt Benson fort, bevor ich zu weit in diese morbide Richtung denken kann, »sie könnten auf einer Farm in Kansas leben und keine Ahnung haben, dass du noch lebst, weil man ihnen einen gefälschten Totenschein von dir vorgelegt hat.«
»Wie jämmerlich ist es, dass ich diese Vorstellung erstaunlich plausibel finde?«
»Nun, wir werden das herausfinden. Gemeinsam«, fügt er hinzu. »Ich mache jetzt keinen Rückzieher. Was auch immer du als Nächstes tun willst – ich bin dabei.«
»Na ja«, sage ich, beuge mich vor und versuche, all meinen Mut zusammenzunehmen.« Vielleicht sollten wir es ausnutzen, dass Reese weg ist.«
»Wie das?«
Ich schlucke trocken, und in diesem Moment merke ich, wie ernst dieser nächste Schritt ist.
Und wie entschlossen ich bin, ihn zu tun.
»Ich habe eine Idee.«
Benson verdreht nur die Augen. »Wieso habe ich bloß das Gefühl, dass mir diese Idee nicht gefallen wird?«
»Tja, das kommt darauf an«, sage ich in gespielt beiläufigem Ton. »Was hältst du von Einbruchdiebstahl?«
K apitel 18
I ch habe jeden Schlüssel zweimal probiert, doch die Tür zu Reese’ Büro bleibt stur verschlossen. Frustriert lehne ich den Kopf an die Tür – ein kompletter Reinfall. Benson steht hinter mir, die Arme vor der Brust verschränkt, und schweigt.
»Es tut mir leid«, sage ich kläglich. »Ich war mir sicher, dass diese Schlüssel funktionieren würden.«
»Das ist verständlich«, sagt Benson mit einem Anflug von Humor. »Ich glaube nicht, dass ich je so viele Schlüssel auf einem Haufen gesehen habe.«
»Ja, nicht wahr?«, sage ich trocken und halte den schweren Schlüsselbund hoch.
»Vielleicht solltest du es einfach mit einem großen Hammer versuchen? Oder einer Kettensäge oder so?«
»Und die Tür kaputt machen?« Ich seufze. »So viel zum Thema schlagende Beweise.«
»Touché.« Benson wirft einen finsteren Blick auf den Türknauf, seine Kiefermuskeln treten hervor. Dann trifft er offenbar eine Entscheidung, kauert sich hin und zieht seine Brieftasche heraus. »Darf ich?«
»Darfst was?«
Er holt etwas aus seiner Brieftasche, das aussieht wie zwei schmale Stäbe, faltet sie auseinander, und sie schnappen auf.
»Sind das Dietriche ?«, frage ich vollkommen geschockt.
»Vielleicht«, sagt er und steckt einen davon vorsichtig ins Schloss.
»Dietriche im Brieftaschenformat ?«, hake ich nach.
»Erste Regel des Fight Clubs «, murmelt er, auf seine Aufgabe konzentriert.
» Fight Club , von wegen!«, flüstere ich, während ich beobachte, wie er sachkundig an dem Schloss hantiert.
Nach ein wenig Gefummel dreht Benson eines seiner Stäbchen herum – und der Türknauf dreht sich mit. Die Tür schwingt an gut geölten Scharnieren auf. »So, bitte schön«, verkündet er, klappt seine kleinen Dietriche wieder zusammen und lässt sie in seine Brieftasche fallen.
»Wo hast du das gelernt?« Ich starre ihn verblüfft an. Und möglicherweise mit Ehrfurcht.
Aber er zuckt nur die Achseln, und ich habe den Verdacht, dass ich mehr auch nicht aus ihm herausbekommen werde.
Reese’ Büro sieht … normal aus.
Es ist nicht so, als wäre ich noch nie hier gewesen. Reese lässt ihre Tür oft offen, wenn sie arbeitet. Ich habe sie sogar, als ich frisch eingezogen war, eines Tages
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