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Der Kuß der Schlange

Der Kuß der Schlange

Titel: Der Kuß der Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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muß eben zu Hause bleiben und auf die Gören aufpassen.«
    Wexford hatte Mühe, seinen Heiterkeitsausbruch zurückzuhalten, bis er draußen auf dem Bürgersteig stand. Lachen tat ihm gut, half ihm über die Enttäuschung hinweg, die ihn bei Ginges Weigerung, weiter für ihn zu arbeiten, zunächst gepackt hatte. Er würde es auch allein schaffen, dachte er, als er wieder in den Achtundzwanziger einstieg. Er konnte zum Beispiel am Sonntag vom Wagen aus die Station West Hampstead beobachten. Wenn er Glück hatte, würde Hathall wie am vorigen Sonntag seine Freundin abholen, und wenn die Frau erst einmal gefunden war, was machte es dann noch, ob Hathall von seiner Verfolgung wußte? Wer wollte ihm ein Vergehen gegen die Richtlinien vorwerfen, wenn er Erfolg hatte?
    Aber Hathall holte seine Freundin am Sonntag nicht ab, und während die Woche verstrich, wurde Wexford immer beunruhigter über das undurchsichtige Verhalten des Mannes. Jeden Abend postierte er sich in der Dartmeet Avenue, aber nie sah er Hathall, und nur einmal bekam er den sichtbaren Beweis, daß das Zimmer mit dem Erkerfenster bewohnt war. Am Montag, Dienstag und Mittwoch war er bereits vor sechs dort, und er sah zwischen sechs und sieben drei Leute das Haus betreten. Aber von Hathall keine Spur. Aus irgendeinem Grund war der Verkehr am Donnerstag abend besonders dicht. Es wurde Viertel nach sechs, ehe er in der Dartmeet Avenue ankam. Es regnete unaufhörlich, und die lange, hügelige Straße war schwarz und leer. Nur hier und da spiegelte sich goldener Laternenschein glitzernd auf dem nassen Pflaster. Alles lag verlassen da, nur eine Katze huschte zwischen den Mülltonnen hervor und verschwand mit ein paar Sätzen durch eine Öffnung in einer Gartenmauer.
    In einem Raum im Parterre brannte Licht, und ein schwächerer Schein fiel durch das Oberlicht über der Haustür. Hathalls Fenster war dunkel, aber als Wexford die Handbremse anzog und die Zündung abdrehte, da wurde das Erkerfenster plötzlich zu einem grellen, gelben Rechteck. Hathall war also zu Hause, war vielleicht um Minuten früher angekommen als Wexford selbst. Nur sekundenlang strahlte das Licht, dann wurden von unsichtbarer Hand schwere Vorhänge zugezogen, bis nichts mehr zu sehen war als dünne, senkrechte Linien aus Licht, wie phosphoreszierende Fäden, die auf der feuchten, dämmerigen Fassade glommen.
    Die Aufregung, in die ihn der Anblick gestürzt hatte, kühlte ab, als eine Stunde, zwei Stunden verstrichen, ohne daß Hathall erschien. Um halb zehn kam ein kleiner, älterer Mann heraus, packte die Katze zwischen nassem Gestrüpp und trug sie ins Haus zurück. Als sich die Haustür hinter ihm schloß, erlosch das Licht, das Hathalls Vorhänge umrahmte. Das machte Wexford wieder munter, er ließ den Wagen an und brachte ihn in eine weniger verdächtige Position, aber die Haustür blieb geschlossen, das Fenster blieb dunkel, und ihm wurde klar, daß Hathall früh zu Bett gegangen war.
    Da er Dora schließlich zu einem Urlaub nach London gebracht hatte, besann er sich auf seine Pflichten und begleitete sie tagsüber durch die Einkaufszentren des West End. Aber Denise war auf diesem Gebiet so viel kompetenter, und am Freitag ließ er seine eigene und seines Neffen Ehefrau im Stich um einer weit weniger attraktiven Frau willen, die gar keine Ehefrau mehr war.
    Das erste, was er sah, als er Eileen Hathalls Haus erreichte, war der Wagen ihres Exmannes, der in der Garageneinfahrt stand, jener Wagen, von dem Ginge gesagt hatte, er sei seit langem verkauft. Hatte Ginge sich da geirrt? Er fuhr weiter, bis er eine Telefonzelle fand, und rief bei Marcus Flower an. Ja, Mr. Hathall sei da, sagte die Stimme einer Jane oder einer Julie oder einer Linda. Wenn er bitte einen Moment warten wolle … Aber anstatt zu warten, hängte er den Hörer ein, und fünf Minuten später war er in Eileen Hathalls reizlosem Wohnzimmer und saß auf einem ungepolsterten Stuhl unter der spanischen Zigeunerin.
    »Er hat Rosemary den Wagen geschenkt«, antwortete sie ihm auf seine Frage. »Sie trifft ihn manchmal bei ihrer Omi, und als sie ihm erzählt hat, daß sie die Fahrprüfung bestanden hätte, da hat er ihr seinen Wagen geschenkt. Er braucht ihn ja auch nicht mehr, da, wo er hingeht, nicht wahr?«
    »Wohin geht er denn, Mrs. Hathall?«
    »Brasilien.« Sie spuckte ein rollendes R und ein zischendes S aus, als sei das nicht der Name eines Landes, sondern eines widerlichen Reptils. Wexford verspürte ein Schaudern, ein

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