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Der Kuss des Anubis

Titel: Der Kuss des Anubis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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als das eintönige Braun und Ocker der getrockneten Nilziegel, kaum ein Fitzelchen Grün dazwischen, um dem Auge Ablenkung zu bieten. Jedes Gebäude ähnelte dem nächsten wie ein Ei dem anderen.
    Wie sollte sie in all dem Einerlei nur Iset finden?
    Nach einigem Herumirren hielt sie die nächstbeste Frau an, die ihr begegnete. »Ich bin auf der Suche nach Kenamun und seiner Frau Iset. Die beiden wohnen noch nicht sehr lange hier. Kannst du mir vielleicht weiterhelfen?«
    Die Frau nickte. »Erst rechts, dann zweimal scharf links. Du kannst es gar nicht verfehlen. Ein blaues Horusauge* ist an die Außenmauer gepinselt.«
    Iset war mit Brotbacken beschäftigt, in einem Küchenhof,
so schmal und eng, dass Miu fast die Luft wegblieb. Als Iset die unerwartete Besucherin erblickte, stellte sie ihre Schüssel ab und begann zu strahlen.
    »Und ich dachte schon, du würdest nie mehr kommen!«, rief sie. »Doch zum Glück hast du dich anders besonnen - wie sehr ich mich darüber freue!«
    Miu umarmte sie, stellte den Korb ab und packte die Geschenke aus. Alle Mitbringsel schienen mehr als willkommen, das bewies ihr die Geschwindigkeit, mit der Iset Raias Gaben verstaute.
    Dann setzte Miu sich ihr gegenüber auf einen Hocker und musterte Iset. Was sie zu sehen bekam, gefiel ihr ganz und gar nicht. Das anfängliche Strahlen war längst wieder verschwunden; jetzt fielen ihr die Schatten unter Isets Augen auf und die Wangen, die um einiges schmaler geworden waren.
    »Was ist los?«, fragte Miu. »Eine glückliche junge Ehefrau sieht anders aus.«
    Isets große runde Augen füllten sich mit Tränen.
    »Gut möglich, dass ich den größten Fehler meines Lebens begangen habe«, flüsterte sie. »Ich hätte Kenamun niemals heiraten, geschweige denn ihm hierher in dieses Gefängnis folgen sollen!«
    »Gefängnis? Aber was redest du denn da für Unsinn?«, rief Miu. »Die Arbeiter des Wüstendorfs und ihre Familien sind überall hoch geschätzt! Und Kenamun liebt dich, das hab ich bei eurer Hochzeit gesehen. Weit und breit kenne ich kein schöneres Paar als euch beide!«
    »Weshalb schleicht er sich dann Nacht für Nacht heimlich fort, sogar an seinen wenigen freien Tagen?« Iset wischte sich die Tränen ab. »Ich hab gründlich nachgedacht,
Miu, das kannst du mir glauben, denn Zeit genug hatte ich ja. Aber leider habe ich nur eine einzige schlüssige Erklärung gefunden: Kenamun betrügt mich. Mein Mann hat eine andere!«

    Mit welch unterschiedlichen Gefühlen war Ramose diesen vertrauten Weg schon gegangen! Meist hatte ihn Vorfreude erfüllt, gemischt mit einer Prise ängstlicher Erwartung, was den Besuch nur noch prickelnder gemacht hatte. Heute jedoch fiel ihm jeder Schritt schwer.
    Könnten die Götter wirklich so grausam sein - und dieses Opfer von ihm fordern?
    Es sind nicht die Götter, korrigierte er sich, als das Haus des Händlers in Sicht kam. Es ist ein skrupelloser, gemeiner Erpresser, der dich in die Knie zwingen will!
    Meret öffnete ihm, lächelnd wie jedes Mal.
    Sie trug ein blaues Kleid. Eine Wasserlilie schmückte ihr Haar. Sie war so anziehend, dass eine Welle von Begehren ihn erfasste.
    »Das Glück ist auf unserer Seite«, sagte sie statt einer Begrüßung. »Stell dir vor, Mehu wird nicht vor nächster Woche zurückkommen. Ein durchreisender Bote hat mich gerade informiert. Uns bleibt also alle Zeit der Welt!«
    Sie trat auf ihn zu, bot ihm den Mund zum Kuss. Es gab nichts, wonach Ramose sich mehr gesehnt hätte, doch heute wich er zurück, als hätte er einen Skorpion erblickt.
    »Was ist mit dir?«, fragte sie irritiert. »Bist du krank? Oder gab es Ärger in der Werkstatt?«
    Und wenn sie es wäre, die ihm den Papyrus und das
Amulett geschickt hatte? Für einen Moment erschien ihm sogar diese wahnwitzige Idee möglich, dann jedoch verwarf er sie sofort wieder. Welchen Grund sollte Meret dafür haben? Sie liebte diese kostbaren gestohlenen Stunden doch ebenso wie er!
    »Hör zu«, sagte er, und jedes Wort, das er herauspressen musste, war für ihn ein Schmerz. »Wir dürfen uns nicht mehr sehen. Sonst könnte etwas Schreckliches passieren.«
    »Ich mag diese Art von Scherzen nicht, Ramose. Und das weißt du.« Ihr Lächeln war jäh erstorben.
    »Das ist kein Scherz, Meret. Ich war niemals ernster. Wem hast du von uns erzählt?«
    »Aber was redest du da!« Sie trat einen Schritt zurück, sah ihn von oben bis unten an. »Niemandem! Genau so, wie wir es immer abgesprochen hatten, weil du deine Tochter unbedingt

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