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Der Kuss des Anubis

Titel: Der Kuss des Anubis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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nicht machen! Mein Vater wird …« Iset packte sie am Arm und zog sie energisch ein Stück weiter.
    »Pass lieber auf, dass du sie nicht verärgerst«, warnte sie. »Sonst sperren sie dich noch ein, so wie sie es neulich mit einem betrunkenen Randalierer gemacht haben. Angeblich sollen sie ja einer Diebesbande auf der Spur sein, das hab ich die Nachbarin sagen hören, deshalb wird wohl alles auf einmal so streng gehandhabt. Jetzt musst du also doch hierbleiben.« Es klang, als würde sie sich darüber freuen. »Komm, Miu, wir beide machen es uns schön!«
    Kalt und hoch stand die Mauer im Mondlicht, ein undurchdringliches Bollwerk, das sie von der Freiheit trennte. Miu schaute verzweifelt hinauf. Man hätte schon ein Vogel sein müssen, um diese Mauer überwinden zu können.

    Sie stieß einen tiefen Seufzer aus, als sie nun an ihren Vater dachte.
    Er würde aufbrausen, ihr Hausarrest verpassen oder wieder mit einem unsäglichen Heiratskandidaten drohen. Andererseits war es Miu bislang noch jedes Mal gelungen, Papa auf ihre Seite zu ziehen, was immer sie auch ausgefressen hatte.
    Eine Spur Zuversicht kehrte zurück.
    Zumindest blieb ihr die ganze Nacht, um sich eine halbwegs gute Geschichte einfallen zu lassen.

    Spät kehrte Ramose nach Hause zurück und schweren Herzens, denn er hatte der Versuchung doch nicht widerstehen können. An seinem Körper haftete noch Merets Geruch, und er hatte ihr trauriges Gesicht vor Augen, als er sie zum Abschied geküsst hatte.
    »Leb wohl, mein Liebster. Die Götter mögen dich beschützen!«, flüsterte sie.
    Die Götter haben mich längst verlassen!, dachte er grimmig.
    Er wollte nur noch eines - hinein in seinen Teich und im Mondlicht alles von sich abwaschen: Schmach und Scham, die Vergangenheit ebenso wie eine freudlos gewordene Zukunft.
    Zu seiner Überraschung sah er Licht im Küchenhof, nachdem er sich abgetrocknet hatte. Hieß das, dass Anuket ihre alte Angewohnheit wieder aufgenommen hatte, sich nicht schlafen zu legen, bevor er zurück war?
    Aber nicht sie fand er im Schein einer Öllampe, sondern
Raia. Ihr Gesicht war so sorgenvoll, dass Ramose erschrak.
    »Doch nicht Miu!«, entfuhr es ihm. »Ist ihr etwas passiert?«
    »Nein«, sagte sie dumpf.
    »Was ist dann geschehen?«
    »Sie wollte unbedingt zu Iset«, sagte Raia ohne Umschweife. »Ins Wüstendorf. Und ich habe es ihr erlaubt - ja, ich weiß, gegen deinen ausdrücklichen Willen.«
    »Wie kannst du mir derart in den Rücken fallen!«, fuhr er sie an.
    »Sie ist noch nicht zurück«, sagte Raia. »Allein das zählt. Ich habe Angst, Ramose! Was, wenn ihr etwas zugestoßen ist?« Sie trank einen Schluck. »Wo warst du eigentlich? Wenn du wenigstens früher nach Hause gekommen wärst! Dann hätten wir etwas unternehmen können.«
    »Wenn Miu etwas zugestoßen ist, dann ist das ganz allein deine Schuld!«, schrie er und vermied, sie dabei anzusehen. »Habe ich genaue Anordnungen gegeben oder nicht? Du weißt genau, wie viel sie mir bedeutet. Auch noch sie zu verlieren …« Er wandte sich rasch ab.
    »Genau das wirst du aber, wenn du so weitermachst. Deine Tochter versteht nicht, was du gegen Iset und ihre Familie hast. Und sie wird so lange rebellieren, bis du endlich mit der Wahrheit herausgerückt bist.«
    Er schien sie gar nicht mehr zu hören.
    »Ich gehe sie holen«, murmelte er. »Auf der Stelle fahre ich hinüber und zerre sie da raus…« Er brach ab. Niemand wusste besser als er, dass es unmöglich war. »Dann eben morgen früh«, murmelte er. »Sobald es hell geworden ist. Und danach ziehen wir andere Saiten auf!«

    Den Rest der Nacht verbrachte er schlaflos, und als der erste Schein des Tages anbrach, war er bereits wieder auf den Beinen. Nach einer hastigen Morgentoilette verließ Ramose das Haus ohne einen Bissen Frühstück und wandte sich zügig in Richtung Fähre.
    Waset war erst am Erwachen und die Straßen beinahe leer. Er begegnete ein paar Bauern, die mit ihren Karren zum Markt wollten, um dort ihr Gemüse anzubieten. Für ein paar Augenblicke beneidete er diese sehnigen, von der Sonne gegerbten Gestalten, die ihm bei aller Armut so glücklich und zufrieden erschienen. Was hatten sie in ihrem einfachen Dasein schon groß zu befürchten? Der Hapi war gestiegen, das Land von fruchtbarem Schlamm bedeckt, aus dem bereits das Getreide zu sprießen begann - alles war genau so, wie es sein sollte!
    Vielleicht wäre auch in seinem Leben alles anders verlaufen, hätte es nicht den verfluchten Ehrgeiz

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