Der Kuss Des Daemons
meinem Pfefferspray, das in ihren Untiefen vergraben war. Das Metall der Spraydose fühlte sich seltsam beruhigend an. Langsam umrundete ich das Haus, noch immer darauf bedacht, möglichst leise zu sein. Überall war es dunkel. Man hätte glauben können, ich hätte mir das Licht nur eingebildet. Dann erreichte ich das Fenster, in dem ich den Lichtschein zuletzt gesehen hatte. Ich spähte durch die Ritzen des Fensterladens. Ein schweres Ledersofa stand dem Fenster schräg gegenüber. Daneben lag ein weiter Schutzbezug achtlos zusammengeknüllt. Rechts, vor einem rußigen offenen Kamin, konnte ich gerade noch eine grob gezimmerte Holzkiste ausmachen. Eine einzige Kerze stand darauf auf einem Untersetzer, der eigentlich ein kleiner Teller war. Ihre Flamme flackerte unruhig in einem Luftzug, der von irgendwoher kam. Etwas, das aussah wie Papier, und ein paar Bücher lagen auf dem Boden. Niemand war zu sehen. Wer war so verantwortungslos, eine Kerze vollkommen unbeaufsichtigt brennen zu lassen? Während ich noch immer möglichst leise zur Vorderseite zurückging, versuchte ich mich selbst daran zu erinnern, wie wenig mich all das eigentlich anging, und stellte fest, dass mir dieser Umstand ziemlich gleichgültig war. Ich mochte dieses Haus! Warum, wusste ich selbst nicht . Auch wenn ich sein Inneres bisher nur durch die Fenster gesehen hatte, empfand ich in seiner Nähe ein Gefühl von Geborgenheit. Ich würde nicht zulassen, dass irgendjemandes
Leichtsinn
dazu
führte,
dass
es
niederbrannte.
Mit dem Pfefferspray in einer Hand drehte ich vorsichtig den Griff der Eingangstür. Er bewegte sich geräuschlos, wie vor nicht all zu langer Zeit geölt, und die Tür schwang leicht nach innen auf Ich stand still und lauschte. Nichts. Ein letztes Zögern, dann trat ich langsam über die Schwelle. Die Dielen des Fußbodens knarrten unter mir. Vor mir führte ein Flur gerade in die Tiefen des Hauses hinein. An seinem Ende flackerte das Licht der Kerze als magerer Schein. Ansonsten war ich umgeben von trübem Halbdunkel. Linkerhand öffnete sich ein Durchgang zu einer etwas altmodisch eingerichteten Küche, rechts ging es in eine Art Wohnzimmer. Schonbezüge verbargen die Möbel, dennoch lag kaum Staub auf dem Boden, soweit ich das in dem trüben Regenlicht erkennen konnte. Neben mir an der Wand gab es einen Lichtschalter. Der Gedanke, ihn zu betätigen, verursachte mir ein mulmiges Gefühl, deshalb ging ich im Halbdunkel auf den Kerzenschein zu, bis sich der Flur zu etwas wie einer kleinen Halle erweiterte. Eine Treppe führte hier in das obere Stockwerk. Ich drehte mich einmal um mich selbst, während ich mich umsah. Die dunkel getäfelten Wände schienen den letzten Rest Helligkeit zu schlucken. Nur eine war weiß
getüncht. An ihr verkündete ein viereckiger, großer Fleck, dass hier früher einmal ein Gemälde gehangen hatte. Um mich herum war es noch immer gespenstisch still. Auch Schritte waren nirgends zu hören.
Eigentlich hätte ich mich irgendwie bemerkbar machen müssen, aber selbst ein einfaches »Hallo?« oder »Ist da jemand?« widerstrebte mir. Ich würde mich dieser Kerze annehmen und wieder verschwinden. Wer auch immer hier war, mochte sich meinetwegen fragen, ob es spukte - zu diesem Haus würde es auf jeden Fall passen.
Ich ging weiter auf den Kerzenschein zu und betrat ein zweites Wohnzimmer, ungleich größer als das neben dem Eingang. Bis auf das Ledersofa, das ich vom Fenster aus gesehen hatte, zwei Sessel und ein weiteres - etwas kleineres - Sofa, die noch ihre weißen Hüllen trugen, war der Raum allerdings leer. Die Möbel waren um den Kamin herum angeordnet, in dem sich noch die Reste eines Feuers befanden. Davor stand die Kiste, die ich vom Fenster aus gesehen hatte. Die Kerze auf ihr flackerte in dem kalten Luftzugder durch den Kamin hereinwehte. Neben der Kiste lag ein ledernes Kissen, das wohl von dem Sofa stammte. Rundherum waren Bücher verteilt.
Angespannt sah ich mich um, während ich langsam zwischen den Sesseln hindurchging. Das, was ich für loses Papier gehalten hatte, war ein Schreibblock. Ein Kugelschreiber klemmte daran. Ich ging näher heran, bis ich die Titel der Bücher erkennen konnte. Ungläubig beugte ich mich über sie. Biologie, Geschichte, Mathematik
- zwischen den Seiten dieses Buches steckte ein Taschenrechner - Physik, eine total zerlesene Ausgabe des
»Dorian Gray«, gespickt mit unzähligen Post-its, die wie Zähne aus den Seiten ragten.
»Was zum ... Du schon
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