Der Kuss Des Daemons
einen winzigen Spalt. Seine Augen waren noch immer rot, aber sahen bei Weitem nicht mehr so schlimm aus wie zu Anfang. Selbst Iris und Pupille zeichneten sich wieder dunkel darin ab. Er blinzelte, aber es war offensichtlich, dass er wieder etwas erkennen konnte. Schweigend schaute er mich an. Ich schluckte trocken.
Julien bewegte sich in der Sekunde, als ich ihm sagen wollte, dass ich jetzt gehen würde. Ich sah es nicht. Plötzlich, er hatte sich auf einem Ellbogen aufgerichtet, war seine Hand in meinem Nacken und seine Lippen auf meinen. Sein Mund war weich und fest zugleich. Ich glaubte noch immer diese Mischung aus salzig, leicht metallisch und einem Hauch von Süße zu schmecken. Die Zeit blieb stehen. Einfach so. Sie setzte erst wieder ein, als Julien sich langsam von mir löste. Ebenso wie mein Verstand - der darauf bestand, dass ich ganz dringend atmen musste. Ich tat es und sank irgendwie benommen auf den Sofarand. Juliens Hand war aus meinem Nacken verschwunden.
»Es geht dir besser«, hörte ich mich selbst sagen. - Ich zuckte innerlich zusammen. War ich Schaf noch ganz bei Trost? Der Junge, in den ich verliebt war, küsste mich und mir fiel nichts anderes ein als Es geht dir besser?
Er sah mich aus seinen roten Augen an und plötzlich war Bedauern auf seinen Zügen. Ganz leicht berührte er meine Schulter.
»Dawn ... ich ...«, setzte er an, verstummte dann aber. Ich wusste, was er sagen wurde. Und ich wollte es nicht hören. Ich wollte ihn nicht Es tut mir leid, Dawn sagen hören. Nicht jetzt.
Noch ehe er erneut auch nur Luft holen konnte, sprang ich vom Sofa auf. Mit einem geradezu verzweifelt klingenden »Ich muss gehen«, stolperte ich rückwärts, die Hände vorgestreckt, als müsse ich ihn mir vom Leibe halten.
»Dawn ...«
»Nein!« Ich drehte mich um und floh aus dem Haus. Als ich die Tür hinter mir zuschlug, glaubte ich seine Schritte im Gang zu hören. Er rief erneut meinen Namen. In meinen Augen brannten Tränen. Wie gehetzt warf ich mich in den Audi, ließ den Motor aufheulen und raste davon. Als ich einen Blick in den Rückspiegel riskierte, sah ich gerade noch, wie Julien in der Haustür auftauchte, den Arm hochriss, um seine Augen vor der Sonne zu schützen, und rücklings ins Haus zurücktaumelte. Ich raste weiter, als sei der Teufel persönlich hinter mir her.
Wie in den Nächten zuvor träumte ich auch in dieser wieder von Julien. Doch dieses Mal saß er neben mir auf der Bettkante und blickte auf mich herab. Als ich mich bewegte und mir das Haar ins Gesicht fiel, strich er es mit einer zärtlichen Geste zurück. Verschlafen fuhr ich in die Höhe und blinzelte in die Dunkelheit meines Zimmers. Ich war allein.
Als die Sonne endgültig untergegangen war, hatte der Durst ihn aus seinem Versteck getrieben. Seitdem streifte er ruhelos durch die Stadt, zornig auf die Welt und sich selbst. An einer Hausecke blieb er stehen und beobachtete einen Mann, der mit seinem Hund in der Dunkelheit noch einmal um den Block ging. Vollkommen ahnungslos. Eine leichte Beute. Aber der Hund könnte anschlagen. Er rührte sich nicht, während der Mann auf der anderen Straßenseite entlangging und schließlich in einem Hauseingang verschwand.
Aus der Seitenstraße hinter ihm wummerten Bässe, die kurz lauter wurden, nur um gleich darauf von einer zufallenden Eingangstür auf ihren alten Level gedämpft zu werden. Ein paar Jugendliche kamen unter Gelächter aus der Richtung der dumpf dröhnenden Musik und er wich in den Schatten eines Hauseingangs zurück. Reglos blickte er ihnen nach, bis sie die Straße hinunter verschwunden waren. Er zögerte, sah einen Augenblick in die Richtung, aus der sie gekommen waren, dann schob er die Hände in die Hosentaschen und ging auf die Quelle des Lärms zu. Es war der Klub am Ende der Seitenstraße, das Ruthvens . Mit jedem Schritt vibrierte das Wummern der Bässe stärker unter seinen
büßen.
Eine
Traube
aus
jugendlichen
unterschiedlichster Altersstufen scharte sich vor der schweren Metalltür und wartete darauf, eingelassen zu werden. Er schob sich im Schatten an ihnen vorbei, nickte dem Türsteher zu und hob die Hand auf eine bestimmte Weise. Der Mann grinste, hielt ihm die Tür auf und winkte ihn hindurch, ohne darauf zu achten, dass einige der Kids protestierten. Hinter der Schwelle empfing ihn das Dröhnen der Musik in einer ohrenbetäubenden Lautstärke. Direkt über dem Boden in die Betonwände eingesetzte blaue Neonröhren waren die einzigen
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