Der Kuss Des Daemons
Annahme, dass die Fürsten Ihre Verbannung nicht aufgehoben haben, denn ansonsten wäre diese Scharade nicht nötig, oder?« Er ließ sich in dem zweiten Sessel auf dieser Seite des Schreibtischs nieder. »Was ist mit Ihrem Bruder passiert?«
»Verschwunden«, sagte er nach einem Zögern und setzte sich langsam ebenfalls wieder.
Der andere presste die Hand auf den Oberschenkel. »Ich vermute, es hat etwas mit diesem Geschaffenen zu tun, hinter dem Sie her sind, nicht wahr?«
»Sehr wahrscheinlich, ja.«
Eine Sekunde schwieg der Mann, »Ihnen ist aber bewusst, dass es den Fürsten einiges wert sein dürfte, zu erfahren, dass Sie wieder hier sind?«
Er lehnte sich vor. »Haben Sie vor herauszufinden, wie viel es ihnen genau wert ist?«, erkundigte er sich scheinbar gelassen.
»Per Dio, nein, natürlich nicht. Ich bin froh, wenn mir jemand diesen Geschaffenen vom Hals schafft. Außerdem schulde ich Ihrem Bruder noch etwas.«
Sekundenlang musterte er den anderen, dann nickte er und stand auf, um zu gehen. »Jetzt schulde ich Ihnen etwas.«
Der Mann erhob sich ebenfalls. »Wenn ich noch irgendetwas höre, melde ich mich - sowohl was den Geschaffenen angeht als auch Ihren Bruder. - Ich hoffe, Sie haben Erfolg. In beiden Fällen.«
Er quittierte die Worte mit einem neuerlichen Nicken und ging zur Tür. Während er das Ruthvens schnell, aber ohne übertriebene Hast endgültig verließ und wieder in die Dunkelheit eintauchte, verfluchte er im Stillen diesen Tag. Heute war einfach zu viel geschehen, was niemals hätte geschehen dürfen.
Ehre und Gewissen
» Julien sucht nach dir!«, war das Erste, was Beth zu mir sagte, als wir uns am nächsten Morgen bei unseren Spinden trafen. Als sie »Er will mit dir reden« hinterherschickte, krümmte ich mich innerlich. Ich konnte mir sehr gut vorstellen, worüber er mit mir reden wollte. Und ebenso wie gestern stand mir der Sinn absolut nicht nach einem Gespräch über dieses Thema. Es war schlimm genug, dass mir das Getuschel und die Blicke der anderen folgten und ich mich fragte, welche Gerüchte über Julien und mich nach der Sache in Chemie wohl kursierten.
Auf dem Weg in den Erdkundesaal erzählte Beth mir, dass Julien sie heute Morgen angerufen und sie gebeten hatte, ihn mit zur Schule zu nehmen, da seine Blade immer noch hier auf dem Parkplatz stand. Ahnungslos, wie sie war, hatte sie ihm auf der Fahrt hierher meinen heutigen Stundenplan verraten. Aber ich konnte zumindest versuchen ihm nicht zu begegnen, indem ich absichtlich zu den einzelnen Unterrichtsstunden zu spät kam oder mich unter einem Vorwand früher hinausschlich und mich in den Pausen möglichst unsichtbar machte. Die Mädchentoilette sollte dafür durchaus geeignet sein.
Nach der dritten Stunde musste ich feststellen, dass Julien DuCraine sich vor mir verstecken konnte, wenn er das wollte - aber ich mich nicht vor ihm. Er fing mich vor dem Biosaal ab - obwohl ich mich fast fünf Minuten vor dem Ende der Stunde mit dem Vorwand davonmachte, dass mir übel sei -, packte mich sanft, aber bestimmt mit einem »Wir müssen reden« am Arm und komplimentierte mich ohne große Umstände in den kleinen Computerraum zwei Türen weiter. Meine Gegenwehr und gezischten Proteste ignorierte er geflissentlich. Die drei Juniors, die offenbar
eine
Freistunde
hatten
und
sich
im
Computerraum vor einer Tastatur drängten, sahen verblüfft auf, als er mit mir zusammen hinein marschierte. Die Jalousie war heruntergelassen, vermutlich weil die Sonne auf dem Bildschirm geblendet hatte.
»Kommt in einer Viertelstunde wieder«, knurrte er sie an und schickte ein scharfes »Wird's bald?« hinterher, als sie nicht schnell genug von ihren Stühlen aufstanden, um sich zu trollen. Übertrieben nachdrücklich schlosser die Tür hinter ihnen, drehte sich zu mir um und sah mich an. Mit vor der Brust verschränkten Armen erwiderte ich seinen Blick.
»Wir müssen miteinander reden«, sagte er schließlich in das Schweigen hinein, das sich zwischen uns festgesetzt hatte. »Was gestern zwischen uns ...«
»Nein, müssen wir nicht«, fiel ich ihm mit einem Kopfschütteln ins Wort. »Ich weiß, was du sagen willst. Es ist okay. Vergessen wir die ganze Sache. Es hat nichts bedeutet, also lass es gut sein.« Ich wollte an ihm vorbei und aus dem Raum.
Er stemmte sich mit einer Hand gegen die Tür und hielt sie zu. Vermutlich hätte ich eher ein ausgewachsenes Rhinozeros beiseiteschieben können als Julien DuCraine.
»Was soll das?
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