Der Kuss Des Daemons
seiner, bis wir den Geschichtssaal erreicht hatten. Am Ende des Korridors stand Mr Taylor noch in ein Gespräch mit Mr Barrings vertieft, sodass ich noch nicht einmal zu spät kam. Susan und ein paar andere aus meinem Geschichtskurs waren auf dem Gang und unterhielten sich. Die Überraschung, mit der sie uns entgegensahen, nachdem sie uns bemerkt hatten, wurde zu sprachloser Verblüffung, als Julien mir mit einem Lächeln sanft über den Arm strich und sich mit einem »Wir sehen uns« von mir verabschiedete. Ich schaute ihm nach, bis Susan sich vor mich schob. Sie musterte mich einen Moment eindringlich, warf einen raschen Blick zu Mr Taylor und Barrings, dann schleppte sie mich ein Stück den Korridor hinunter, außer Hörweite der anderen.
»Mein Gott, Dawn, läuft da was zwischen dir und DuCraine?«, fragte sie mich ohne Umschweife und klang dabei sehr besorgt.
Ich nickte und sah in die Richtung, in der Julien eben um die Ecke gebogen war. Susan packte mich bei den Schultern und schüttelte mich, damit ich sie wieder anschaute.
»Bist du verrückt geworden? Du weißt, wie kurz er sich bisher immer mit seinen Freundinnen abgegeben hat. Willst du unbedingt sein nächstes Opfer sein?« Susan bebte vor Empörung. »Er wird dir das Herz brechen, genau wie den anderen auch.«
Irritiert blickte ich sie an. Ja natürlich kannte ich Juliens Ruf. Aber dieses Mal war es anders. Er hatte Distanz gewollt ...
An der Tür zum Geschichtssaal rief Mr Taylor unsere Namen. Gemeinsam drehten wir uns zu ihm um.
»Nun, die Damen, hätten Sie dann auch die Güte, hereinzukommen. Ich möchte beginnen.« Mit sichtlicher Ungeduld winkte er uns heran. Ich war ihm dankbar dafür, dass er es mir - zumindest für den Augenblick - ersparte, Susan alles erklären zu müssen, und setzte mich gehorsam in Bewegung. Doch Susan hielt mich am Ellbogen fest und musterte mich erneut.
»Du hast nicht vor, wieder mit ihm Schluss zu machen, oder?«, stellte sie grimmig fest.
»Nein«, ich schüttelte den Kopf.
Susan seufzte. Mit einem Schlag schien ihre Entrüstung verflogen. Sie rieb mir freundschaftlich den Arm. »Wenn er dir wehtut und du mit jemandem reden willst, kannst du mich jederzeit anrufen. Ganz egal wie spät es ist. Denk daran! Versprich mir das!«
»Ms Warden, Ms Jamis. Darf ich jetzt bitten!«, drängte Mr Taylor.
»Auch wenn es nicht nötig sein wird: versprochen«, nickte ich. »Trotzdem danke, Susan.«
Sie schenkte mir ein verkniffenes Lächeln, dann hasteten wir an unserem ungeduldigen Geschichtslehrer vorbei in den Saal und auf unsere Plätze. Die ganze Stunde über spürte ich immer wieder die Blicke der anderen auf mir - vor allem die der weiblichen Hälfte meiner Klassenkameraden. Auch Susan sah mich mehrfach von der Seite an. Sie schien nicht so recht zu wissen, oh sie weiter versuchen sollte mir Julien auszureden oder ob sie damit vielleicht unsere Freundschaft gefährdete.
Nach Geschichte erwartete Julien mich vor der Tür des Saales. Er nickte Susan zu, die mit mir zusammen herauskam und ihn auf eine Art musterte, die eine deutliche Warnung an seine Adresse war, dann schenkte er mir ein Lächeln, das meine Knie in Gummibärchenmasse verwandelte.
»Hi«, quetschte ich an dem Kloß in meinem Hals vorbei. Irgendwie hatte ein Teil von mir wohl immer noch seine Zweifel, dass das alles nicht doch ein herrlicher Traum war, aus dem mein Wecker mich demnächst rüde reißen würde.
»Hi«, antwortete er und sein Lächeln vertiefte sich. Seine Stimme fühlte sich an wie schwarzer Samt. Der unfreundliche Typ, der mich mit Blicken ermorden wollte und mich bei jeder Gelegenheit anfuhr, war verschwunden. Offenbar hatte er mich damit »auf Distanz« halten wollen. Ich musste innerlich grinsen. Sein Plan war nicht ganz aufgegangen. »Wollen wir?« Er nickte den Korridor hinunter Richtung Sekretariat.
Ich verkniff mir ein Seufzen, winkte Susan noch kurz zu, dann machten wir uns auf den Weg. Wir hielten nicht Händchen, jeder trug seine eigene Tasche, wir gingen nur dicht nebeneinander her - dicht genug, dass Juliens Hand zuweilen meine streifte oder mein Arm seinen berührte - und dennoch drehte sich alles nach uns um. Mir war zuvor nie aufgefallen, dass man ihm und seinen Freundinnen eine solche Aufmerksamkeit schenkte, aber wir schienen das Schulgespräch Nummer eins zu sein. Dabei hatten wir selbst erst vor knapp einer Stunde beschlossen, dass wir zusammen waren. Doch offenbar hatte es sich bereits herumgesprochen. Wir wurden
Weitere Kostenlose Bücher