Der Kuss des Greifen (German Edition)
auf die Herdplatte. Nun das rohe Fleisch in die Pfanne geben. Mit einem Hilfsmittel umrühren. Sie nahm das Hilfsmittel in die Hand und dachte nach. Wie hieß das Ding noch mal? Ach ja, Pfannenwender.
Draußen strahlte ein sonniger Morgen. Die Küche, in der Carling arbeitete, war groß und von Steinwänden umgeben. Sie kam ihr fremd vor. Es gab lange Holztische und Arbeitsflächen aus Granit, Spülbecken wie in einer Großküche und eine Feuerstelle, die groß genug war, um ein Schwein darin zu grillen. Helles gelbes Sonnenlicht fiel durch metallverglaste Fenster. Ohne die schnatternden Speichellecker war die Küche friedlich und ruhig. Jetzt, da sie beinahe leer war, mochte Carling sie wesentlich lieber.
Zu Carlings Füßen winselte ein kleiner Hund, und in der Nähe schmollte Rhoswen, die sich sorgsam vom einfallenden Sonnenlicht fernhielt. »Ich verstehe nicht, warum du darauf bestehst, das zu tun«, grummelte Rhoswen. »Wir haben Hundefutter in Dosen, das er liebt. Ziemlich gutes, teures Premium-Hundefutter. Ich habe es persönlich mit seinem Tierarzt abgestimmt.«
»Du brauchst es nicht zu verstehen«, murmelte Carling. Sie starrte auf die organische Substanz in der Pfanne. Sie begann zu brutzeln. Das rötliche Fleisch wurde weiß. »Was braten wir noch mal?«
»Hühnchen«, sagte Rhoswen. »Aus unerfindlichen Gründen braten wir Hühnchen.«
»Richtig«, sagte Carling.
Sie schob das Fleisch in der Pfanne hin und her. Das ist Nahrung. Ein warmer Geruch erfüllte die Luft. Sie schnupperte. Diesen Geruch empfanden lebende Wesen als aromatisch und appetitlich. Ihnen lief das Wasser im Mund zusammen, und ihr Magen begann zu knurren.
Der kleine Hund bellte.
Ja, und manche kläfften.
Das Hühnchen musste durch und durch weiß werden. Es machte nichts, wenn es außen braun wurde. Viele mochten es sogar lieber so. Mit einem Gefühl der Befriedigung nahm Carling die Pfanne vom Herd und kratzte mit dem Hilfsmittel den dampfenden Inhalt auf einen Teller für ein winziges Lebewesen.
Sie sah den Hund an, und der Hund wiederum sah sie an. Ihr fielen die Details aus dem Bericht des Tierarztes ein. Der Hund war ein drei Kilo schwerer Orange-Sable-Zwergspitz. Er hatte dichtes, langstehendes Fell in Braun und Schwarz, das an einen explodierenden Puffpilz erinnerte, und in seinem drollig gerollten Schwanz fanden sich einige cremefarbene Sprenkel. Außerdem hatte er glänzende schwarze Knopfaugen und eine fuchsartig schmale Schnauze mit einer schwarzen Knopfnase. Als sie ihm ihre Aufmerksamkeit schenkte, stellte er sich auf die Hinterbeine und drehte sich im Kreis. So viel Freude und Aufregung über etwas, das sich Frühstück nannte.
Sie las den letzten Schritt in ihrem Rezept: Warten, bis das Fleisch genug abgekühlt ist, um gefahrlos verzehrt zu werden, bevor man den Teller auf den Boden stellte.
Sie betrachtete die dampfende Substanz auf dem Teller und dann wieder den Hund. Er sah sie mit einem aufgeregten, hündischen Grinsen an; seine rosa Zunge hing an einer Seite heraus, während er auf den Hinterbeinen hüpfte und die Pfoten in der Luft bewegte. Sie sprach ein Wort voll magischer Energie. Einen Moment lang schimmerte die Luft, die das Hühnchen umgab. Als sie das Fleisch mit dem Finger berührte, war es perfekt abgekühlt. Ja, das war viel besser.
Auf der dem Meer zugewandten Seite des Hauses ertönte eine Glocke.
Rhoswen und Carling hoben die Köpfe. Sie sagte zu Rhoswen: »Lass den Wächter ein.«
Die jüngere, blonde Vampyrin neigte den Kopf und verließ die Küche.
Carling schob den Saum ihres schwarzen ägyptischen Kaftans beiseite, um in die Hocke zu gehen und den Teller vor dem Hund abzustellen. Was dann kam, verwirrte sie jedes Mal aufs Neue. Im Laufe der Jahrhunderte hatte sie viele Formen der Gier kennengelernt. Doch so sehr der Geruch des brutzelnden Hühnchens den Hund auch in Ekstase versetzte – wenn sie den Futterteller vor ihm abstellte, hielt er immer zuerst inne, um sie anzusehen, bevor er über seine Mahlzeit herfiel und sie hinunterschlang.
Carling war eine Sukkubus, eine Vampyrin also, die die Gefühle von Lebewesen spüren und sich davon ernähren konnte. Der kleine Hund hatte Gefühle. Es waren strahlend bunte Funken, die wie Glühwürmchen leuchteten. Sie wusste, was er empfand, wenn er sie mit diesem Blick ansah.
Es war hingebungsvolle Dankbarkeit.
Einige Minuten später kehrte Rhoswen zurück. Carling löste den Blick von dem Hund und sah auf. Er hatte sein Mahl beendet und
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