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Der Kuss des Greifen (German Edition)

Der Kuss des Greifen (German Edition)

Titel: Der Kuss des Greifen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Harrison
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Dort unten ist die Sandsteinschicht beschädigt, weshalb es dort Stalaktit- und Stalagmitformationen gibt, und am Ende des Höhlensystems sickert der Fluss ein. Hin und wieder gibt es auch Steinschläge, deshalb ist es dort gefährlich. Aus diesem Grund schließen wir die Tür ab, um zu verhindern, dass Kinder die Höhle erkunden.«
    Grace legte ihre Taschenlampe ab und wickelte den mitgebrachten Gegenstand aus dem Tuch. Den Stoff ließ sie zu Boden fallen, und als sie sich zu Rune und Carling umdrehte, hielt sie den Gegenstand hoch, damit sie ihn sehen konnten.
    Es war eine griechische Maske. Antikes Gold glänzte im Strahl der Taschenlampe. Das Gesicht war androgyn, schön und ausdruckslos und hatte Löcher für Augen und Mund.
    »Meine Güte. Das ist atemberaubend«, murmelte Carling.
    Das Orakel trägt diese Maske seit Tausenden von Jahren«, sagte Grace. »Wie Sie sich vorstellen können, gab es dafür viele Gründe, die sich im Laufe der Zeit gewandelt haben. Manchmal wurde sie mit großem Zeremoniell getragen. Meine Großmutter lehrte meine Schwester und mich, dass wir sie jetzt aus zwei Gründen tragen. Der erste ist die Tradition, die Achtung vor der Vergangenheit. Der zweite Grund ist, den Fragesteller daran zu erinnern, dass er, wenn er das Orakel befragt, nicht mehr mit mir, Grace Andreas, spricht.«
    »Erinnern Sie sich an das, was gesagt wird?«, fragte Carling.
    »Ich habe gehört, dass wir uns manchmal erinnern, manchmal aber auch einen Filmriss haben.« Grace hatte den Kopf gebeugt. Leise sagte sie: »Aber ich bin keine Expertin. Seit Petras Tod bin ich erst einmal dazu gerufen worden.« Sie hob den Kopf. »Sind Sie bereit?«
    »Ja«, sagte Rune.
    Grace hob die Maske und setzte sie sich vors Gesicht.
    Etwas Gewaltiges rührte sich in der Luft der Höhle. Die uralte magische Energie, die in dieser Gegend umhergeisterte, begann sich zu verdichten. Am Rande ihres Hörvermögens kratzte ein trockenes Geräusch wie von Schuppen, die an den Höhlenwänden entlangglitten. Das Geräusch hüllte sie ein, während sich die magische Energie um sie schlang.
    Rune war schon die ganze Zeit beunruhigt, und nun stellten sich seine Nackenhaare auf. Er merkte, dass tief aus seiner Brust ein Knurren drang. Carling trat näher zu ihm, bis ihre Schulter seinen Arm streifte. Im schrägen Strahl der Taschenlampe wirkte ihr Gesicht gefasst, doch ihre Augen waren geweitet und wachsam. Rune drehte sich um, sodass er Rücken an Rücken mit Carling stand und den Blick nach außen gerichtet hatte.
    Hinter der goldenen Maske erklang eine Stimme, aber sie gehörte nicht Grace. Es war etwas anderes, etwas, das älter und ungezügelter war als eine menschliche Stimme.
    »Da bist du ja, Greif«, sagte die alte, wilde magische Energie. »Ich habe mich auf diese Unterhaltung gefreut, die wir geführt haben.«
    Sich auf eine Unterhaltung in der Vergangenheit gefreut. Rune schüttelte heftig den Kopf. Ja, da war er wieder, der schlechte LSD -Trip, der ihm wie ein Flashback am Arsch klebte.
    »Wie geht’s dir?«, fragte er Python. »Du durchgeknallte tote Irre. Lange nicht gesehen.«
    Die magische Energie kicherte, das Geräusch strich über ihre Haut. »Hast du schon Schrödingers Katze gesehen, Greif?«
    Rune wusste über Schrödingers Katze Bescheid. Es war eine berühmte physikalische Hypothese, die das Paradoxon der Quantenmechanik beschrieb. Man setze eine Katze in eine Kiste mit etwas Gift und ein wenig verdrehtem wissenschaftlichen Hokuspokus. Rune hatte längst die Geduld mit diesem Gedankenexperiment verloren, bevor er sich die Mühe gemacht hatte, die ganzen physikalischen Grundlagen dahinter zu lernen. Er erinnerte sich noch daran, dass die Katze in der Kiste gleichzeitig tot und lebendig sein sollte, bis sie entweder als tot oder lebendig beobachtet wurde.
    Unter anderem sollte diese Hypothese veranschaulichen, dass in der Quantenphysik der Beobachter die Realität des Beobachteten beeinflusst. Was wollte Python ihm mit dieser Frage sagen?
    Hinter ihm zischte Carling und stieß ihm in den Rücken. In seinem Kopf sagte sie: Wie kann sie sich überhaupt auf Schrödingers Katze beziehen? Diese Hypothese wurde erst in den 1930er Jahren aufgestellt, und Python ist schon vor Tausenden von Jahren gestorben – wenn sie wirklich gestorben ist.
    Er sagte: Ich habe ein ganzes langes Leben mit Seltsamkeiten gelebt, aber das hier ist selbst für mich seltsam. Laut sagte er: »Für diese Art Unterhaltung bin ich nicht annähernd

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