Der Kuss des Greifen
der Suche nach dir?« Die Aufregung ließ ihn in die vertrauliche Anrede verfallen.
»Äh. Durchaus möglich.« Aiolos grinste. »Ich glaube ich gehe jetzt lieber nach Hause.« Er eilte davon.
»Und was ist mit dem Zauber?«, fragte Cel.
»Darum kümmere ich mich morgen – vorausgesetzt, ich erhalte die Bezahlung.«
»Das werden wir morgen besprechen«, sagte Cel.
»Ich könnte auch etwas Schlaf gebrauchen. Gute Nacht!«, sagte Lysandra. »Du bist wirklich der Greif?«
»Gewiss bin ich das.«
»Aiolos scheint dies tatsächlich zu glauben, doch mir kannst du so was nicht erzählen.«
»Du hast den Greifen doch gesehen. Komme morgen eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang zur Corycischen Grotte.«
»Wenn ich lebensmüde bin.«
»Lebensüberdruss ist eine Tugend, wenn man mit mir zusammenzuarbeiten will. Aber ich zähle mehr auf deine Neugierde.«
Als Lysandra in den frühen Morgenstunden im Dunkeln zur Corycischen Grotte lief, erblickte sie zuerst die weiße Katze. Vom Greif sah sie keine Spur, doch sie würde ihn suchen, ihn und Cel. Sicherheitshalber war sie in voller Bewaffnung erschienen. Die Stunde der Wahrheit war gekommen.
Die weiße Katze miaute und schien auf etwas zu warten.
»Was willst du von mir?« Lysandra betrachtete das Tier. Während ihre Müdigkeit schwand, erinnerte sie sich an die Gespräche der vergangenen Nacht. Cels Worten nach handelte es sich bei diesem Tier um seine Schwester Sirona. Dies war natürlich unglaubwürdig, doch konnte es durchaus sein, dass Cel dem Tier einige Dinge beigebracht hatte. Gerade Katzen waren ihr schon immer recht intelligent vorgekommen. Wollte die Katze sie zu Cel führen? Es konnte nicht schaden, ihr zu folgen.
Die Katze lief in einer Geschwindigkeit weiter, in der Lysandra ihr ohne Schwierigkeiten folgen konnte. Sie führte sie ein Stück den Berg hinauf. Dort oben, auf einer spärlich von Farnen bedeckten Anhöhe, kniete Cel, umgeben von den letzten Schatten der sterbenden Nacht. Sein Haar fiel ihm wie ein silberner Wasserfall über die Schultern.
Offenbar bemerkte er ihr Herannahen, denn er hob das Antlitz, um sie anzusehen. Schmerz lag in seinem Blick.
»Du kommst gerade noch rechtzeitig. Es ist gleich soweit«, sagte er mit leicht verzerrter Stimme.
Der Augenblick war gekommen, in dem sie die Wahrheit erfahren würde. Es war ohnehin seltsam, dass der Greif nicht mehr aufgetaucht war. Entweder entsprach das, was Cel gesagt hatte, so unglaublich es auch klang, der Wahrheit, oder das Ungeheuer hatte sich einen neuen Ort gesucht, wenn es nicht gar irgendwo in der Nähe lauerte. Lysandra wusste ohnehin nicht mehr, was sie glauben sollte. Einige Meter von ihm entfernt blieb sie stehen.
Gebannt sah sie den Mann vor sich an, der sich schwankend erhob. Mit bebenden Händen streifte er sich das Obergewand ab und warf es zu Boden. Lysandra starrte auf seine muskulöse Brust und die breiten Schultern, über die sein silbern schimmerndes Haar hing.
Er beugte sich hinab, um seine Lederschuhe auszuziehen. Die bunten keltoischen Beinkleider zog er sich über die Hüften hinab und entstieg ihnen. Nun stand er in seiner nackten männlichen Pracht vor ihr.
Seine Haut schimmerte golden im Zwielicht. Selbst die Kampfesnarben auf seinem muskulösen Bauch und dem Brustkorb empfand sie nicht als hässlich. Zudem war er größer als ihre hellenischen Landsleute – in jeder Hinsicht. Er war ein nackter, heidnischer Gott.
Lysandra hatte als Zuschauerin bei den Pythischen Spielen schon einige Männer entblößt gesehen, doch hatte sie niemals zuvor diese Hitze verspürt, die sich nun in ihrem Leib ausbreitete. Es war, als würde ihr Innerstes schmelzen. Sie bemerkte ein Kribbeln und Ziehen an Körperstellen, die ihr zuvor nicht so bewusst gewesen waren. Ausgerechnet er, ein Feind ihres Volkes, hatte diese Wirkung auf sie!
Celtillos lächelte, doch war sein Antlitz verzerrt vor Schmerz, beschienen vom Dämmerlicht des herannahenden Sonnenaufgangs. »Gleich ist es soweit«, sagte er. »Ich spüre es.«
Dieser Wahnsinnige glaubte tatsächlich, ein Greif zu sein. Dennoch konnte und wollte sie den Blick nicht von ihm abwenden, denn er gefiel ihr – ob er verrückt war oder nicht – ausnehmend gut. Der feine Schwung seiner Lippen lud zum Küssen ein. Das Faszinierendste waren jedoch diese rauchblauen Augen, die sie in ihren Bann zogen.
Plötzlich ging ein Beben durch seinen Leib. Entsetzt starrte Lysandra auf seinen Oberkörper. Unter seiner güldenen Haut schien
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