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Der Kuss des Greifen

Der Kuss des Greifen

Titel: Der Kuss des Greifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Morgan
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waren hauptsächlich ein Volk des Landes und nicht der See. Daher kann ich sie dir leider nicht nennen.«
    »Die Hellenen sind beides«, sagte Lysandra. »Waren? Warum sprichst du von deinem Volk in der Vergangenheitsform?«
    »Weil es die Boier als Volk vermutlich nicht mehr gibt.« Traurigkeit lag in seiner Stimme. Er senkte den Kopf.
    Lysandra verspürte wider Willen Mitgefühl in sich aufsteigen. »Wären die Barbaren eben nicht in Delphoí eingefallen.«
    Sie spürte seinen Blick auf sich. »Weißt du, was es heißt, aus der Heimat vertrieben worden zu sein und den Ort für immer hinter sich lassen zu müssen, an dem man geboren wurde?« Er sah sie eindringlich an.
    »Ist das geschehen?«
    Cel nickte. »Ich wurde weit weg von hier geboren. Vor einigen Jahren fielen feindliche Stämme dort ein. Meine Mutter, die sich zu diesem Zeitpunkt bei den Nachbarn aufgehalten hatte, wurde getötet, während mein Vater, mein Bruder und ich auf der Jagd waren. Er hat es sich niemals verziehen, nicht bei ihr gewesen zu sein, um sie zu beschützen. An jenem Tag starben auch sein Herz und seine Seele. Sirona war im Wald Beeren pflücken gewesen, was ihr wohl das Leben gerettet hat, denn es wurde fast das ganze Dorf niedergemetzelt. Als die anderen weiterzogen, weil der Feind übermächtig wurde, gingen wir mit ihnen. Wir sind Heimatlose und haben auch die anderen unseres Volkes endgültig verloren. Jetzt habe ich nur noch Sirona. Ich habe sie in diese schreckliche Lage gebracht. Wenn ich sie nicht retten kann, dann war alles umsonst.«
    Lysandra kämpfte das aufsteigende Mitgefühl zurück. Stets machte sie sich bewusst, dass die Barbaren viele Delphoíer getötet und auch nicht vor dem Mord an Frauen, Kindern und Alten zurückgeschreckt hatten.
    »Vor drei Jahren erreichten wir Illyrien«, sagte Cel. »Wir zerschlugen das makedonische Heer, bevor wir über Thessalien in Hellas einfielen.«
    Lysandra nickte. »Thessalien, das Pferdezuchtgebiet. Aléxandros ho Mégas, ein früherer König Makedoniens, hatte sein Ross Burkephalos von dort.« Zumindest hatte sie die Leute dies sagen hören.
    Cel wirkte nachdenklich. »Schon möglich. Doch sag mir die Wahrheit: Das Heer, welches Delphoí verteidigte, bestand nicht aus Hellenen allein?«
    Es gab für Lysandra keinen Grund mehr, dieses Wissen zurückzuhalten. »Phokaier und Ätoler haben mit uns zusammen die Stadt verteidigt. Denk ja nicht, ich wüsste nicht, dass die Barbaren einen Ablenkungsangriff gegen Ätolien geführt haben.« Wobei sie noch mehr Menschen getötet hatten, diese blutrünstigen Wilden.
    Als sie den Blick hob, begegnete er dem Cels. Das Rauchblau seiner Augen wirkte silbern im Mondlicht.
    »Solange es unterschiedliche Völker gibt und jeder nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist, wird es Kriege geben, Lysandros. Lass die Vergangenheit unserer Völker nicht uns beide zu Feinden machen.«
    Lysandra wandte ihren Blick ab. »Du vergisst etwas: Wir sind Feinde, sind es schon immer gewesen. Du sagst dies alles vermutlich nur, weil du von mir Unterstützung für dein Vorhaben erwartest. Du weißt gar nicht, wie schwer es mir fällt, einem Feind zu helfen. Die Boier haben meinen Großvater getötet.«
    »Und das hellenische Heer meinen Vater und meinen Bruder. Ich wurde zum Kämpfen erzogen, zum Krieg und zum Töten. Ehre würde es bringen, doch erschafft es einzig Leid. Dies liegt nicht allein an meinem verlorenen Glauben an ein besseres Leben nach dem Tod für die Tapferen. Ich bin des Kämpfens müde geworden nach den zahlreichen Schlachten und dennoch werde ich mein Schwert jederzeit wieder erheben, um jene zu schützen, die ich liebe.«
    Lysandra schluckte, doch half es nicht gegen den Knoten in ihrem Hals.
    »Auch wir haben Verluste erlitten, Lysandros. Auch wir Barbaren kennen Leid und Schmerz. Auch wir, die Fremden, die anderen Völker, sind Menschen, die atmen, leben und lieben. Und wir bluten, wenn man uns verletzt. Wären wir in unserer Heimat geblieben, würden unsere Knochen jetzt dort ruhen.« Ein Seufzer entrang sich seiner Kehle. »Du hast mir die Sterne gezeigt, Lysandros. Sie scheinen für uns alle gleichermaßen, die wir unter demselben Himmel leben. Vielleicht können wir eines Tages in Frieden leben.«
    »Das hört sich aber nicht nach einem Keltoi an. Wo ist die euch nachgesagte Kampfeslust geblieben?«, fragte Lysandra.
    Cel seufzte. »Sie liegt begraben zwischen den Leichen meines Bruders und meiner Eltern. Zuerst hat mich der Hass

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