Der Kuss des Greifen
ich es tun. Es reicht schon, dass ich verloren bin. So müsst ihr beide es nicht auch noch sein.« Lysandra legte sich, in die Decke gehüllt, auf die Planken. Cel ließ sich an ihrer Seite nieder.
Er sah sie eindringlich an. »Gleichgültig, wie viele Niederlagen oder Rückschläge man erleidet, verloren hat man erst in dem Moment, in dem man aufgibt. Niemandem steht das Recht dieser Entscheidung zu, außer einem selbst.«
Lysandra schloss die Augen, um sich seine Worte einzuprägen. »Wir sollten noch ein wenig ruhen.«
Sachte küsste er ihre Schläfe, ihre Nase und ihre geschlossenen Lider.
»Der Zauber muss gelöst werden. Ich merke, wie du dich veränderst«, sagte sie leise.
»Es fällt dir also auch auf?«
Sie nickte. »Vor allem in den frühen Abendstunden nach der Verwandlung bist du nicht ganz du selbst.«
»Doch bin ich es jetzt und gefällt dir, was ich bin?«
Erstaunt öffnete sie die Augen, um ihm ins attraktive Gesicht zu sehen. »Wie könntest du mir nicht gefallen? Du bist schön, mutig und stark.«
»Es stört dich nicht, dass ich die Toten sehen kann?« Irgendetwas veränderte sich an seinem Gesichtsausdruck. Instinktiv wusste Lysandra, dass viel von ihrer Antwort abhing.
»Wenn es dich nicht stört, dass ich mich für einen Mann ausgebe. Du weißt, was dies für deinen Ruf als Mann bedeuten könnte. Hiram denkt sicher auch schon, wir hätten etwas miteinander.«
Er lachte leise und rau. Es war ein Laut, der ein erotisches Versprechen enthielt, indem er sie durchdrang und an Stellen ihres Leibes berührte, die bislang völlig unangetastet waren. Doch Lysandra fürchtete ihn nicht, weder den Greifen noch den Boier und schon gar nicht den Mann.
Sie legte sich dichter neben ihn, um seine tröstliche, aber beunruhigende Nähe zu suchen, in der sie sich lebendiger fühlte als jemals zuvor. Sie kuschelte sich an ihn und er legte seinen Arm um sie und zog sie fest an seinen Leib. Mit dem Rücken lag sie an seiner harten Brust.
Es kitzelte, als Cel ihr Haar beiseiteschob, um ihren Nacken zu küssen. Seine Lippen waren weich und warm.
»Ich hatte solche Angst, dich zu verlieren«, sagte sie.
»Du musst keine Angst um mich haben.« Seine Stimme war ein Flüstern, tief und rau. Sein Atem liebkoste ihre nackte Haut und ließ sie erbeben.
Er begann, sie zu streicheln. Es war beruhigend und beunruhigend zugleich. Sie sollte nicht hier neben ihm liegen. Das war höchst unschicklich, doch was zählte dies noch, wenn man dem Tod ins Antlitz gesehen hatte? Zudem hatte sie große Angst um sein Leben ausgestanden. Tränen stiegen brennend auf, sie vermochte kaum noch zu schlucken, doch entrang sich ihrer Kehle ein Seufzer, der all ihre Pein und Seelenqualen zum Ausdruck brachte.
Cel zog sie näher zu sich heran. »Es ist wieder alles gut.«
Sie wandte sich halb zu ihm um. »Nichts ist gut.«
»Doch, das ist es, denn wir leben. Träume und Ziele sind etwas wunderschönes, doch dürfen wir niemals vergessen, im Augenblick zu leben. Selbst ohne all die Gefahren kann es morgen schon vorbei sein, der jetzige Atemzug kann unser letzter sein.«
Genau dies empfand auch Lysandra. Sie drehte sich zu ihm um und zog die Decken beiseite, die sie beide trennten. Ein Ausdruck der Überraschung trat auf sein Gesicht, wich jedoch dann einer Zärtlichkeit, die ihr Herz wärmte – und ihren Leib.
Tief in ihr prickelte es. Sie verspürte eine Sehnsucht, die ihr bislang fremd gewesen war. Alles in ihr verlangte nach diesem Mann. Es gab nur diesen Augenblick und sie beide. Nichts anderes zählte mehr, außer dass dieser Moment der letzte sein konnte, diese Gelegenheit verstreichen und sie niemals erfahren würde, wie es war, eine Frau, Cels Frau, zu sein und sei es auch nur für eine Nacht, denn wer wusste, was der Morgen brachte und wann sie sterben würden. Sie hätte ihn heute verlieren können, doch ohne seinen Mut wäre das gesamte Schiff dem Untergang geweiht gewesen.
Lysandra presste ihre Lippen auf die seinen. Seine Zunge umrundete ihren Mund, suchte ihren feuchten Spalt und schob sich dazwischen. Sie hieß ihn willkommen in ihre warme Mundhöhle und erforschte ebenso die seine. Ihre Lider flatterten. Sie schlang die Arme um seinen Hals und sog tief seinen männlichen Geruch in sich ein, in der Hoffnung, dass dieser Moment ewig währen würde. Sie fühlte sich leicht und glücklich wie nie zuvor in ihrem Leben.
»Liebe mich!« Ihre Stimme war kaum mehr als ein Hauch, beinahe verschluckt vom Nachtwind, doch
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