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Der Kuss des Jägers

Der Kuss des Jägers

Titel: Der Kuss des Jägers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lukas
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der
Seitenstraße verschwand. Ihr Ziel musste ganz in der Nähe sein. Eilig umrundete
er das Café an der Ecke. Außer parkenden Wagen war kein Auto zu sehen, dafür
einige Fußgänger, doch längst nicht genug, als dass Sylvaine in der Menge hätte
untertauchen können, selbst wenn sie von ihren Verfolgern gewusst hätte. Ihre
große, schmale Gestalt mit dem schwarzen Haar war auch von hinten leicht zu
erkennen, wenngleich sie in ihrer dunklen Kleidung auch nicht auffiel.
    »Hatte ich erwähnt, dass du verhaftet bist?«, schnaufte Tiévant
plötzlich neben ihm. »Renn mir bloß nicht noch mal so davon.«
    Jean beschloss, die Frage zu ignorieren. »Beweg dich lieber nicht so
agil, sonst nimmt dir niemand ab, dass du sechzig bist und auf Parkbänken
schläfst.«
    »Sehr witzig.«
    Schweigend schlenderten sie an geschlossenen Marktständen und Läden
vorbei. Während der Öffnungszeiten musste in der engen Straße ziemliches
Gedränge herrschen, doch jetzt hallten sogar die Schritte von den Wänden wider.
Sylvaine sah im Laufen immer wieder zu den Namensschildern der wenigen Lokale
auf. Offenbar suchte sie etwas. Warum hatte sie dem Taxifahrer nicht einfach
die Adresse genannt? Er hätte schließlich nur vom anderen Ende her in die
Einbahnstraße fahren müssen.
    »Wieso hat sie sich nicht bis vor die Haustür bringen lassen?«
Offenbar hatte Tiévant gerade das Gleiche gedacht.
    »Vielleicht möchte sie keinen Zeugen dafür, wo sie hingeht«, riet
Jean ins Blaue. »Oder die Fahrt wurde ihr zu teuer. Oder …« Es war müßig.
Solange sie keinen besseren Hinweis hatten, würden sie ihre wahren Gründe nur
vermuten können.
    Sie kreuzten eine Querstraße und bald darauf eine weitere. Wusste
Sylvaine überhaupt, was sie suchte? Oder dass das, was sie suchte, vorhanden
war? Zum Glück fühlte sie sich unbeobachtet, denn sie hatte sich noch kein
einziges Mal nach Verfolgern umgesehen. Mittlerweile war es so spät, dass nur
noch die Straßenlaternen und die Reklame Licht spendeten. Ihm fiel ein, dass er
auch noch zu L’Inconnue musste. Diese angesagten events begannen zwar nie vor zehn Uhr, und es dauerte noch
länger, bis dort viel los war, aber wer konnte wissen, wie lange Sylvaine ihn
noch aufhalten würde?
    Wieder eine Querstraße. Die Marktstände und Lebensmittelhändler
waren Lokalen und kleinen Hotels gewichen, was erklärte, weshalb auch hier
einige Touristen herumliefen. Er kannte die Rue Daguerre nicht gut, aber er
konnte sich nicht vorstellen, dass sie über den Friedhof hinausragte, zu dem
sie parallel verlief, denn dahinter folgten bald der Bahnhof und der Jardin
Atlantique. Sie mussten etwa die Hälfte der Straße abgelaufen sein, und noch
immer ging Sylvaine weiter.
    »Meine Schicht ist bald um«, sagte Tiévant wie zu sich selbst. »Ich
muss demnächst mal meinen Kollegen informieren, wo ich bin, sonst kann er mich
nicht ablösen.«
    Erwähnt er das, damit ich mich vorher aus dem
Staub machen kann? Aber dann würde er Sylvaine nicht weiter folgen
können. Verfluchter Mist. Durfte er später wenigstens
Kontakt mit Tiévant aufnehmen, um zu erfahren, wo sie hingegangen war? Wie weit
reichte ihre Freundschaft?
    Etwas zupfte an seiner Aufmerksamkeit, eine Ahnung des Grauens, das
die älteren, mächtigeren Dämonen umgab wie eine kalte Aura. Konnte es Zufall
sein? Lief Sylvaine direkt in eine Falle oder … lockte sie sie in einen Hinterhalt? Misstrauisch musterte er die Straße vor ihnen. Zur Rechten
befand sich ein auf Akkordeons spezialisiertes Geschäft, das längst geschlossen
hatte, zur Linken Garagen und Tore eines Wohnhauses. Vor dem Nachbargebäude
standen ein paar kleine Tische auf dem Bürgersteig, und der Schriftzug auf dem
Seitenteil der dunklen Markise darüber verkündete, dass sie ein Bistro vor sich
hatten. Leise Musik und der Geruch von Gebratenem wehten ihnen entgegen. Ein
Schatten, den nur seine inneren Augen wahrnahmen, lag über den Gästen, die an
der Straße saßen. Der Dämon – oder ein Besessener, der jeden Augenblick die Kontrolle
über sich verlieren würde – befand sich unter ihnen. Wer …
    »Sieh mal, so schöne Akkordeons!« Tiévant packte ihn am Arm und
zerrte ihn zu den Schaufenstern hinüber.
    »Was?« Ein Blick zu Sylvaine, auf die er nicht mehr geachtet hatte,
genügte, um das Verhalten seines Freundes verständlich zu machen. Sie war vor
dem Bistro stehen geblieben. Rasch wandte er sich ab und tat, als begutachte er
die Musikinstrumente hinter der Scheibe. Zwei

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