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Der Kuss des Jägers

Der Kuss des Jägers

Titel: Der Kuss des Jägers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lukas
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Aber Kafziel war noch da, so viel war sicher. Und er würde
seine Pläne weiterverfolgen. Auf eine gewisse Art hat David
recht. Ich gehöre nicht hierher. Draußen bastelte ein Dämon daran,
zweihundert mächtige Fürsten der Finsternis zu befreien, und er durfte hier wählen, ob er lieber Gänge wischen oder
dreckiges Geschirr spülen wollte?
    »Du warst wohl noch nie im Knast.« Die Stimme gehörte einem
drahtigen Mann, den Jean auf etwa sein eigenes Alter schätzte. Der Schnitt des
mattroten Haars betonte die länglichen, kantigen Gesichtszüge.
    »Woran merkt man das?«
    Der Fremde schnaubte belustigt. »Na, du spazierst hier rum, als
wär’s der Garten von Versailles oder so. Du musst aufpassen, Mann! Die wollen
uns hier nicht.«
    »Ähm, wer sind wir und wer sind die ?«
    »Na, alle!« Er gestikulierte vage herum. »Die Araber, die
Schlitzaugen, die Zigeuner, die Schwarzen … Die glauben, wir Weißen gehören
nicht hierher.«
    Jean sah ihn skeptisch an.
    »Doch! Glotz nicht so! Passt nicht in ihr Scheißweltbild,
verstehste? Sie sind die Opfer, die keine Chance kriegen. Wir ham kein Recht,
es zu vergeigen.«
    Interessante Logik. Jean nickte langsam.
Das erklärte vielleicht, warum seine Zellengenossen – vor allem David – so
abweisend waren. »Verstehe. Danke für die Warnung …« Er sah den Unbekannten
fragend an und reichte ihm die Hand. Wer vermochte schon zu sagen, ob der Kerl
durch ebenso unglückliche Umstände hier gelandet war wie er selbst?
    »Frédéric Boudin, aber alle nennen mich Fred«, erklärte jener und
bewies einen kräftigen Händedruck.
    »Jean Méric.«
    »Du bist ’n Studierter, oder? Hört man gleich. Was hast’n
ausgefressen?«
    »Angeblich Mord.«
    Freds rötliche Augenbrauen zuckten.
    »Aber ich war’s nicht.«
    Die Ironie in Frédérics Miene war unübersehbar. »Sagen wir das nicht
alle?«
    Jean lachte freudlos auf. »Ja, vermutlich. Und du?«
    »Einbruch. Ist so ’ne Art Familientradition.«
    »Dann warst du schon öfter hier?«
    »Nee, gleicher Mist, anderer Ort. Aber irgendwie ist’s überall
gleich.«
    »Auch diese komischen Wäscheleinen?« Er deutete zu den bunten
Gespinsten an der Fassade hinauf.
    Fred grinste. »Kannst auch Wäsche dran trocknen, wenn’s dir Spaß
macht. Aber eigentlich reichen sich die Jungs damit alles mögliche Zeugs
weiter.«
    »Zigaretten? Drogen?«
    »Alles, was man hier reingeschmuggelt kriegt.«
    Unter den Augen der Wärter? Und wie bekamen die Kerle den Nachschub?
Gab es vielleicht … »Wie kann man Kontakt nach draußen herstellen?«

    »Oh, zur Not können wir es auch gleich hier erledigen.«
Kafziels Klinge glänzte im Licht der Neonröhre.
    »Kannst du nicht«, ertönte es hinter Sophie.
    Rafe trat vor sie, schob sie zwischen sich und die Wand, sodass sie
nur noch seinen Rücken sah.
    »Ihr Blut gehört mir«, knurrte der Dämon.
    »Nichts gehört dir. Zurück in die Dunkelheit mit dir!«
    Gerade als sie um Rafe herumspähen wollte, leuchtete grelles Licht
auf. Ihre Lider schlossen sich rasch von selbst, während ein wütendes Fauchen
an ihre Ohren drang – dann wurde es wieder dunkler, und sie wagte, die Augen
wieder zu öffnen.
    »Er ist fort«, versicherte Rafe.
    Erst jetzt zitternd schmiegte sie sich in seine Umarmung. Tröstlich
streichelte er ihren Rücken und legte seine Wange an ihren Kopf, sodass sie
seinen warmen Atem im Haar spürte. Mussten Engel atmen? Sicher nicht.
    »Es ist der Körper, der atmen muss. Im Gegensatz zu dir merke ich
aber nichts davon. Die Verbindung ist nur geistiger Art, weil ich nicht
hineingeboren bin.«
    Sie verstand nicht genau, wie er das meinte, aber sie war froh um
die Ablenkung, die ihrem Zittern ein Ende gesetzt hatte. Um ihm das
Spielzeugauto zeigen zu können, löste sie sich von ihm. »Er hat mir in deinem Namen eine Nachricht geschickt. Kann er … kann er
meine Eltern umbringen?«
    »Die Ursache oder der Grund für etwas und paralleles Geschehen sind
manchmal schwer voneinander zu unterscheiden. Hat er einfach gewusst, dass
deine Eltern heute beinahe einen Unfall haben würden, oder hat er ihn
tatsächlich bewirkt? Du kannst dir die Antwort selbst geben, indem du dich
fragst, wer letztendlich das Schicksal eines Menschen bestimmt.«
    Sie war noch zu aufgeregt und verwirrt, um ihm folgen zu können,
geschweige denn, ernsthaft über eine so philosophische Frage nachzudenken. Der
Dämon konnte Einfluss auf Menschen ausüben. Hatte sie
es nicht am eigenen Leib zu spüren bekommen? Aber

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