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Der Kuss des Jägers

Der Kuss des Jägers

Titel: Der Kuss des Jägers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lukas
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hatte es keine Chance gehabt.
    Dass er nun für einige Tage in einer abgeschiedenen, grau in grau
gehaltenen Zelle saß, störte ihn kaum. Hier hatte er wenigstens seine Ruhe.
Doch er fürchtete das Licht, das der Vorfall aus Sicht des Haftrichters auf ihn
werfen würde. Eine Entlassung aus der Untersuchungshaft rückte bei solchem
Betragen endgültig in unerreichbare Ferne. Und auch auf den späteren Prozess
konnte es sich ungünstig auswirken, wenn die Justiz den Eindruck gewann, er sei
ein notorischer Schläger. Von den Folgen für seinen weiteren Aufenthalt in
diesem Knast ganz zu schweigen. Wenn die Schwarzen hier die Weißen schon
hassten, hatten sie ihn jetzt erst recht auf der Abschussliste.
    »Du kannst schon froh sein, dass die Wärter das Handy nicht gefunden
haben, als sie die Zelle stürmten.«
    Geneviève? Jean riss die Augen auf. Sie
stand zwei Schritte von der Pritsche entfernt und sah mit einem hauchfeinen
Lächeln auf ihn herab. Rasch erhob er sich und lugte dabei wie von selbst kurz
zu der massiven Stahltür, als ob sie sich für den Engel geöffnet hätte. »Das …
war nicht mein Verdienst. Ich habe nur noch aus dem Augenwinkel gesehen, wie
Driss es vom Boden geklaubt hat.«
    »Er hat es auf seine Art verschwinden lassen. Trotzdem ist dir klar,
dass du meine Arbeit nicht leichter gemacht hast.«
    »Es tut mir leid. Ich …«
    »Nein, mir tut es leid.« Ihr Blick drückte Bedauern und Mitgefühl
aus. »Ich weiß, dass du darunter leidest, hier eingesperrt zu sein, und ich
kann nicht einmal erwirken, dass sie dich stattdessen in deiner eigenen Wohnung
unter Arrest stellen.«
    »So etwas gibt es?«
    »Die rechtliche Möglichkeit besteht. Aber Gournay und der
Staatsanwalt haben es verstanden, dem Haftrichter den Eindruck zu vermitteln,
dass man dir damit nur Gelegenheit geben würde, Spuren zu verwischen und Zeugen
zu beeinflussen. Gournay hat so lange darauf gewartet – er setzt jetzt alles
daran, dass du hinter Gittern bleibst, und der Ermittlungsrichter vertraut ihm
in dieser Sache blind.«
    Es kam Jean vor, als werde die Luft in der Zelle dünner. »Dann komme
ich also wirklich nicht mehr hier raus? Wie lange? Zwei Jahre, drei?«
    »Wenn wir die Zeit bis zum Prozess einrechnen, ja, dann könnten drei
Jahre realistisch sein. Ich werde dem Richter auf meine Art Milde nahe legen,
das weißt du. Aber ich kann seinen freien Willen nicht beugen.«
    Jean nickte. Als Engel würde sie dem Mann oder der Frau gute Gründe
einflüstern, weshalb er ein nachsichtiges Urteil verdiente, doch sie konnte ihm
nicht einfach die Konsequenzen seines Handelns ersparen. Die irdische
Gerechtigkeit musste ihren Lauf nehmen. Am Schmerz, der plötzlich durch seine
Hand zog, merkte er, dass er die Fäuste ballte. Die Ärztin hatte sich die
Schnitte nach der Prügelei noch einmal angesehen und nur den Kopf geschüttelt.
Die eitrige Entzündung war zwar abgeklungen, aber im Kampf waren einige Stellen
wieder aufgerissen, sodass sie neu genäht werden mussten. Spätestens jetzt
würde er Narben zurückbehalten, hatte sie prophezeit. Als ob
ich keine anderen Sorgen hätte …
    »Warum bist du hier?«, wollte er wissen. »Lässt man dich auf
normalem Weg schon nicht mehr zu mir?«
    »Es ist in der Tat schwierig«, gab sie zu. »Solange sich keine neuen
Umstände ergeben, hält man ein weiteres Anwaltsgespräch für unnötig. Gournay
hat sich für strenge Auflagen eingesetzt, weil ich bei Sophie war.«
    Der Name belebte und verbitterte ihn zugleich. »Wie geht es ihr? Ich
wollte sie anrufen, aber …« Ein Geräusch ließ ihn verstummen. Näherte sich etwa
ein Aufseher?
    »Keine Sorge, sie können mich nicht hören oder sehen«, behauptete
Geneviève. »Sophie steckt in Schwierigkeiten – in mehrfacher Hinsicht. Der
Dämon trachtet mehr denn je nach ihrem Leben. Sie muss den Schlüssel finden,
wie du schon festgestellt hast. Ihre anderen Probleme sind weltlicher Natur,
und es ist besser, wenn du nichts darüber weißt, denn falls dir eine falsche
Bemerkung entschlüpft, wird man sich fragen, wo du dein Wissen herhast.«
    Alles andere ist weltlicher Art? Falsche Bemerkung? Hatte Sophie etwa auch Ärger mit
Gournay, obwohl sie das Opfer war?
    »Von Gaillard soll ich dir ausrichten, dass Lilyth vermisst wird.
Sie ist aus dem Krankenhaus geflohen, nachdem sie erfahren hat, dass sie bei
Faucheux in stationäre Behandlung soll.«
    Jean erschrak. Das Mädchen war auf der Flucht? Besessen, allein und
in Panik vor einer Einweisung in

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