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Der Kuss des Jägers

Der Kuss des Jägers

Titel: Der Kuss des Jägers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lukas
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Mondschatten des Fensterladens
verbarg das Gesicht, ließ nur einen hellen Streifen aufgeschlitzter Haut
erkennen.
    Sie waren fort. Alle. Nur der Tod war noch hier …
    Mit einem Griff an seine Brust schreckte Jean aus dem Schlaf auf.
Unter dem Stoff der Hemdtasche ertasteten seine Finger die vertrauten Kanten.
Selbst hier im Gefängnis hatten sie ihm das zerknitterte Marienbild gelassen,
auf dem die Blutspritzer seiner Mutter allmählich verblassten. Es bei sich zu
wissen, beruhigte ihn, doch im gleichen Augenblick traf ihn die Erkenntnis,
dass nicht der Albtraum ihn geweckt hatte. Das Vollmondlicht, das durch das
kleine Fenster auf die Pritsche fiel, blendete ihn. Wie einst im Haus seiner
Eltern spürte er das Böse, denn seit jener Nacht hatte ihn der erwachte
Instinkt nicht mehr verlassen, der ihn vor der Nähe der Dämonen warnte. Je
stärker sie durch einen Menschen wirkten, desto düsterer nahm er dessen
Ausstrahlung wahr, und in dieser Anstalt gab es etliche verwirrte Geister, die
ihnen als Kanäle dienten. Er spürte sie, aber sie waren weit weg. Doch eine
Regung im Schatten verriet ihm, dass er nicht allein war. Sein Körper spannte sich.
»Wer ist da?«
    »Er fand Raphaël, einen Engel; er wusste es aber nicht.«
    Diese Stimme … Jean sprang bereits auf,
    als die Gestalt ins Licht trat. Das Zitat aus Tobias, Kapitel  5 , Vers  4 verwirrte ihn. Wollte
Gadreel andeuten, dass … »Das ist unmöglich!«
    Der gefallene Engel lächelte. Spöttisch? »Sollte ich sagen: Fürchte
dich nicht?«
    Jean straffte die Schultern. Sie mochten ihm die besten Waffen
genommen haben, doch er besaß immer noch seine Stimme und seinen unbeugsamen
Willen. »Ich habe keine Angst vor dir. Ich halte es nur mit Hiob  15 ,  15 : ›Siehe, selbst seinen
Heiligen traut Gott nicht.‹«
    »Sind sie denn nicht alle dienstbare Geister?«
    Stammte das nicht aus dem Hebräerbrief? »Mag sein. Doch selbst der
Satan verstellt sich zum Engel des Lichts.«
    Gadreels Lächeln vertiefte sich. »Zweiter Korintherbrief, Kapitel  11 , Vers  14 . Du kennst die
Schrift gut, und dein Argwohn ist verständlich. Aber sieh her und befrage dein
Herz, ob es Lüge und Hinterlist wittert.«
    Licht blitzte auf, heller und wärmer als das kalte Leuchten des
Mondes. Die Konturen des Körpers vor ihm verschwammen darin. Er blinzelte
hinein, während das Licht auch auf ihn traf, ihn gleichsam durchströmte, und
jene liebende Kraft an seinen inneren Dämmen zerrte, die ihn stets vor
Geneviève zurückweichen ließ. Weiße Schwingen, zu groß für die enge Zelle,
wölbten sich über der strahlenden Aureole, in der sich die menschliche
Erscheinung des Engels auflöste und doch erahnbar blieb.
    Das Licht verschwand im gleichen Moment, da Jean die Wahrheit
anerkannte. Es dauerte eine Weile, bis sich seine Augen wieder an den
Mondschein gewöhnt hatten. Er hatte es nicht glauben wollen, doch Geneviève
hatte gesagt, dass es möglich sei, wenn der gefallene Engel entgegen der
schlechten Mittel, die ihm nur zur Verfügung standen, dennoch willentlich etwas
Gutes erreichte. Gadreel hatte Sophies Leben gerettet und Kafziels Plan
vereitelt – vorerst. Offenbar war er dadurch wieder zu Raphael geworden, dem
Engel, der er vor seinem Sturz gewesen war. Sophie musste überglücklich sein.
    »Ich bin hier, um dich vor eine Wahl zu stellen.«
    Jean wachte aus seinem entrückten Zustand auf. Klar. Ein Engel kam nicht einfach vorbei, um sich für seine Hilfe zu bedanken oder so
etwas. »Worum geht es?«
    »Um dich. Dein Leben. Darum, wie deine Zukunft aussehen soll.«
    Er verzog das Gesicht. »Kann es irgendwelche Zweifel daran geben,
wie meine Zukunft aussieht?« Sie umfasste einen triumphierenden Gournay,
vergitterte Fenster, Rache für die Schläge, die er David verpasst hatte, und
wenn er Letztere überlebte, kam er in zwei, drei Jahren vielleicht wieder frei.
    »Das ist die eine Variante, die du wählen kannst, und ich fürchte,
dass die andere nur oberflächlich betrachtet freundlicher aussieht«, gab
Raphael zu. »Aber ich stehe in deiner Schuld, und ich kann dir nichts Besseres
anbieten, da mich die Gesetze binden, denen wir alle unterliegen.«
    Der Engel erkannte an, ihm etwas schuldig zu sein? Jean betrachtete
Raphael mit neuen Augen. »Welche Alternative sollte das sein?« Geneviève hatte
ihm ausführlich genug erklärt, warum sie ihm nicht mal eben mit himmlischer
Macht einen Freispruch verschaffen konnte. Ganz abgesehen davon, dass der
Staatsanwalt gegen ein

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